: Christian Schwarz
: Professor Zamorra 1013 Die 1000 Tode des Robert T.
: Verlagsgruppe Lübbe GmbH& Co. KG
: 9783838749037
: Professor Zamorra
: 1
: CHF 1.60
:
: Horror
: German
: 64
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Das kann nicht die Hölle sein. Die gibt es nicht mehr.

Wo bei Merlins hohlem Backenzahn bin ich hier also?

Und warum bin ich?

Robert Tendyke fühlte zunehmende Verwirrung, als seine Blicke zum wiederholten Male die fernen Säulen aus loderndem Feuer trafen. Zusammen mit tausenden Irrlichtern erhellten sie die schwefelgetränkte Nacht und tauchten das karge, lebensfeindliche Land bis zu den Höhen hinter ihm in einen geheimnisvollen Schein.

Der Abenteurer hörte einen schaurigen Chor wehklagender Seelen und atmete den beißenden Geruch der träge ziehenden Qualmwolken so lange ein, bis er hustete. Aber das war schlicht unmöglich. Tote konnten nicht husten.

Und ich bin tot. Umgebracht von meinem eigenen Erzeuger ...

In diesem Moment bemerkte Tendyke, dass er seinen Hut nicht mehr besaß.

»Shit«, murmelte er, denn irgendwie fühlte er sich unwohl ohne seinen Stetson.Aber das ist kein Problem, das einen Totenüber Gebühr belasten sollte, dachte er zynisch und strich sichüber die Brust. Dort, wo eigentlich die tödliche Wunde sein sollte, war – nichts mehr. Allerdings wies das Loch im ledernen Fransenhemd darauf hin, dass dadoch etwas gewesen war.

Tendyke schüttelte den Kopf und schluckte ein paar Mal schwer. Mit den Händen griff er sich an die Schläfen, um die plötzlich aufgetretenen Kopfschmerzen wegzumassieren. Es funktionierte gut. Mit ihnen verschwand auch das angebliche Heulen und Wehklagen gemarterter Seelen. Da er sich in der Hölle befand, hatte sie sein Gehirn wohl ganz einfach dazu erfunden. Schließlich wusste es genau, wie es in der Hölle aussah und was es dort erwarten durfte.

Tendyke fühlte sich beobachtet. Er sah sich nach allen Seiten um, bemerkte aber niemanden. So setzte er, weil er sich dort einen besserenÜberblick und neue Erkenntnisse erhoffte, seine ersten Schritte in Richtung der steilen Hügel hinter ihm. Zaghaft zuerst, da er nicht wusste, wie sich die Schritte Toter auswirkten, dann immer sicherer.

Seltsam, es fühlt sich alles an wie damals, als ich noch gelebt habe. Bei Merlins jährlicher Gastritis, was tue ich dann aber jetzt? Zumindest existiere ich. Aber warum spüre ich dann meinen Herzschlag? Und dieses beschissene Rauschen im Ohr? Ist das so eine Art Phantomschmerz oder was?

In diesem Moment spaltete ein vielfach verästelter, tiefroter Blitz das Firmamentüber den Feuersäulen. Mit einem ohrenbetäubenden Krachen erwischte er eine der brennenden Nadeln und ließ sie förmlich explodieren. Gleißende Lichtkaskaden zischten nach allen Seiten weg, brennende Felsbrocken kamen auf Tendyke, der sich erschrocken umgedreht hatte, zugeflogen. Blitzschnell warf er sich auf den Boden und hielt die Hände schützendüber den Hinterkopf. Er spürte die Hitze und hörte ein hohles Pfeifen, als ein Steinbrocken nur um Haaresbreiteüber ihn hinweg zischte und hinter ihm in den Boden schlug.

Tendyke keuchte und rollte sich auf den Rücken. Denn in den dunklen Himmelnüber ihm begann es zu brodeln. Das, was dem Blitz gleich folgte, würde ungleich schlimmer sein. Bisher war es nur eine Ahnung, da sich das Firmament wie ein gigantischer Strudel zu drehen begann. Langsam zuerst, dann immer schneller, bis er sich schließlich in nahezu irrsinniger Geschwindigkeit bewegte. Begleitet wurde das unglaubliche Schauspiel von einem dicht verästelten Netz jetzt unaufhörlich zuckender Blitze – die plötzlich von dem Strudel angesaugt und allesamt hineingezogen wurden!

In diesem Moment fing der Strudel schwarz zu leuchten an. Eigentlich eine Unmöglichkeit, aber Tendyke kannte dieses magische Phänomen von den Todesstrahlen der Meegh-Spider her. Gleichzeitig begann der Boden zu zittern und zu beben.

Etwas riss dort oben!

Der Abenteurer schrie unwillkürlich auf. Hinter dem indirekten Leuchten, das ihn an Floridas Sonne, wenn sie hinter dicken Gewitterwolken hervor brach, erinnerte, sah er plötzlich einen orangerot leuchtenden Tunnel, der kerzengerade in die Unendlichkeit zu führen schien und sich gleichzeitig Hunderte Male wand und in sich selber verdrehte. Tendykes Gehirn tat sich schwer, diesen widersprüchlichen Eindruck zu verarbeiten. Seine Gedanken begannen sich zu verwirren. Gleichzeitig drückte eine gewaltige dunkle Front aus seinem Unterbewusstsein und fraß diese Verwirrung mit einer Gier sondergleichen auf. Dieses Gefühl hatte Tendyke tatsächlich. In der Folge konnte er plötzlich klarer und schärfer beobachten und Schlüsse ziehen, was ihn in nicht geringem Maß bestürzte. Und er sah besser.

Hinter den Flammensäulen schälten sich nun die noch dunkleren Konturen mächtiger Berge aus der Finsternis. Er stand inmitten eines weiten Tales. Aber das war im Moment lediglich eine Randnotiz. Was am Himmel passierte, war viel interessanter!

In dem Tunnel erschien nämlich ein stecknadelkopfgroßer schwarzer Punkt, der auf ihn zu schoss und schnell größer wurde. Dabei wurde seine Form unregelmäßiger und nahm schließlich die Konturen eines riesigen Vogels an.

Eines Vogels?

Nicht eher die eines … Engels?

Tendyke hielt den Atem an. Aus zweierlei Gründen. Je größer und deutlicher das unglaubliche Wesen wurde, desto mehr trübte sich das orangerote Leuchten ein. Schwarze Schlieren entstanden