: Jacqueline Navin
: Geheimnisvoller Engel
: Cora Verlag
: 9783751513364
: Digital Edition
: 1
: CHF 2.00
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 130
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

William of Thalsbury ahnt, dass Olivia keine Dienerin ist: Ihre Hände sind zu zart für die Arbeit in der Küche. Doch wer ist die geheimnisvolle Schönheit mit den unergründlichen Augen, die sogar das Herz des starken Ritters in weihnachtliche Stimmung versetzt?



Wie bei vielen Autoren lag der Ursprung meines Schaffens darin begründet, dass ich eine leidenschaftliche Leserin bin. Dadurch entwickelte ich eine innige Liebe zu Büchern und zum Geschichtenerzählen. Ich habe Schriftsteller immer bewundert, aber der Gedanke, selbst einer zu werden, lag mir so fern wie der Gedanke, ein berühmter Schauspieler zu sein. Doch bei mir ist es wirklich passiert. Ich fing an zu schreiben und schreibe immer noch. Seit der 7. Klasse schrieb ich zu meinem eigenen Vergnügen und hütete dies als mein kleines Geheimnis. Bei all den Geschichten in meinem Kopf hätten sie mich für verrückt erklärt. Ich erinnere mich noch daran, wie mein Psychologielehrer an der Highschool sagte, das Tagträumen sei ein Verdrängungsmechanismus. Seitdem wusste ich, ich bin in Schwierigkeiten und hütetet dieses Geheimnis wie meinen Augapfel. Später fand ich im Verlauf meines Psychologiestudiums und anschließend auch als praktizierende Psychologin heraus, dass mein Lehrer falsch lag. Manche Menschen sind einfach so gestrickt, und in meinem Fall, waren meine vielen Tagträume die Quelle für meine Geschichten. Erst nach der Geburt meines zweiten Kindes ging ich an die Öffentlichkeit. Ich hatte ein erfülltes Leben und war glücklich, doch ich spürte eine innere Unruhe und Unzufriedenheit. Schließlich fand ich heraus, dass ich diese Ruhelosigkeit nur besänftigen konnte, indem ich mich ernsthaft dem Schreiben widmen würde. So fing ich mit 40 Jahren an, mein erstes Buch zu verfassen, das nach zahlreichen Überarbeitungen in der Reihe Harlequin Historicals erschien. An zwei Tagen die Woche empfange ich immer noch Patienten in meiner Praxis in Maryland, wo ich mit meinem Mann, drei Kindern und mehreren Haustieren lebe. Ich bin entschlossen, weiter zu schreiben, denn wie Sie wissen, schwirren mir immer noch unzählige Geschichten durch den Kopf.

1. KAPITEL

Thalsbury Castle

22. Dezember 1193

Von der Weide her, die südlich der Burgmauern lag, erklang plötzlich der heisere Gesang von Weihnachtsliedern, und eine Schar fröhlicher Zecher tauchte aus dem Wald auf. Einige gingen zu Fuß, andere saßen auf Wagen, die hochbeladen waren mit Grün, und wieder andere ließen ihre Hengste traben. Die Tiere waren an das Kriegshandwerk gewöhnt. Seitdem unter der segensreichen Herrschaft von William, Lord of Thalsbury, Frieden herrschte, wurden sie nicht ausreichend bewegt.

Lord Thalsbury war es auch, der die Gruppe anführte und dabei am lautesten, wenn auch nicht unbedingt am schönsten, sang. Die Wintersonne zauberte helle, goldene Funken in sein blondes Haar, und seine Augen blitzten vor vergnügtem Mutwillen. Er neige dazu, wie ein ungezogener Junge auszusehen, hatte eine Dame seiner Bekanntschaft einmal gesagt, und das war nur allzu wahr. Ein sehr attraktiver ungezogener Junge, mit einem Charme, der mit erotischen Verheißungen bezauberte und einem Mund – so ging das Gerücht –, der diese Verheißungen wahr machte.

Er lachte laut, als er die Worte des Liedes durcheinanderbrachte. Achselzuckend fing er von vorne an, und die anderen stimmten mit ein. Lächelnd und mit vor Freude gerötetem Gesicht saß er entspannt auf seinem Hengst. Er liebte Weihnachten; für ihn war es die schönste Zeit im Jahr, die immer damit begann, wenn das Waldgrün gesammelt wurde.

Mit ihrer Fracht – Stechpalmen, Lorbeer und großen Kiefernzweigen – näherten er und seine Gruppe sich Thalsbury. Damit es genügend Misteln gab, war er selbst auf einen mächtigen Baum geklettert, um sie von ihrem Platz in steiler Höhe herunterzureißen. Triumphierend hatte er sie hochgehalten, während die anderen begeistert jubelten.

„Ich erwarte eure Huldigung, ihr hässlichen Kreaturen“, hatte er gerufen und war wegen des Beifalls kaum zu verstehen gewesen. „Denn heute habe ich euch davor gerettet, die Weihnachtszeit verbringen zu müssen, ohne dass ein Kuss euren … äh, Geist belebt.“

Alles in allem ist es ein wirklich wunderbarer Tag, stellte er fest, während sie sich dem Torhaus näherten. Dann sah er den Reiter, der auf der Zugbrücke wartete. Wills Lächeln erstarb, während seine hochgewachsene Gestalt erstarrte. Es war eine seltsame Reaktion beim Anblick eines Mannes, den er einst seinen Freund genannt hatte.

An der Identität des Mannes gab es keinen Zweifel. Seine schiere Größe, das im Wind flatternde helle Haar und die nordischen Gesichtszüge, die eine Erhabenheit besaßen, die Angst und Ehrfurcht zugleich einflößte, hatten nicht ihresgleichen. Unter anderen Umständen hätte Will sich gefreut, Agravar in seinem Heim willkommen zu heißen, aber es konnte nur einen Grund geben, warum Agravar der Wikinger Thalsbury zu dieser Jahreszeit besuchte. Der Gedanke legte sich wie Blei auf Wills Stimmung.

„Heil dir!“, rief der Wikinger und hob grüßend eine seiner mächtigen Hände.

„Agravar, du Teufel, aus welchem Grund verdunkelst du meine Tür?“, rief Will mit gezwungener Fröhlichkeit.

„Aus dem gleichen Grund wie letztes Jahr und das Jahr zuvor. Lord Lucien verlangt nach deiner Anwesenheit in seiner Halle während der Weihnachtstage.“

Will schnürte es noch mehr die Brust zu. Rasch zauberte er ein Lächeln auf sein Gesicht. „Es ist mir eine Ehre, aber ich kann leider nicht kommen. Richte das meinem Lord und Lehnsherrn mit meinem größten Bedauern aus. Meine eigenen Dorfbewohner verlangen nach einer Feier, und mein Platz ist unter ihnen.“

Agravar gab sich ohne Widerspruch damit zufrieden. Es war, als würden beide nur einer Formalität nachkommen. Manchmal fragte Will sich, ob er Bescheid wusste. Dies