1. KAPITEL
Halifax, Neuschottland, Mai 1818
Sir Robert Kerr war gerade damit beschäftigt, den Vierteljahresbericht für das Ministerium zu verfassen, als es laut an der Tür seines Arbeitszimmers klopfte.
„Kommen Sie herein, Duckworth.“ Der Gouverneur warf seinem Sekretär einen finsteren Blick zu. „Habe ich nicht ausdrücklich Anweisung gegeben, dass …“
„Sie nicht gestört werden wollen, Eure Exzellenz?“, beendete der junge Duckworth den Satz, was in heiklen Situationen eine ärgerliche Angewohnheit von ihm war.
Doch für heute waren keine besonderen Schwierigkeiten zu erwarten – jedenfalls, sofern der Gouverneur nicht etwas Wichtiges übersehen hatte. Doch das jungenhafte Gesicht seines Sekretärs hatte eine rote Färbung angenommen, und seine Stimme klang atemlos. „Genau diese Anweisung haben Sie gegeben, Sir, außer für den Fall, dass sich eine größere Katastrophe anbahnt.“
Der Gouverneur lächelte gequält und legte die Schreibfeder beiseite. Das mit der „größeren Katastrophe“ hatte er scherzhaft gemeint, doch sein Humor war noch nie recht verstanden worden.
Als Sir Robert sich vom Stuhl erhob, verspürte er einen stechenden Schmerz im Nacken. Er rieb über den angespannten Muskel. Wie viele Stunden hatte er jetzt schon wegen des verdammten Berichts über dem Schreibtisch gebeugt verbracht? Vielleicht würde ihm ein wenig Bewegung guttun.
„Verraten Sie mir, mit welcher schrecklichen Katastrophe unsere schöne Kolonie heute fertigwerden muss?“ Er folgte dem Sekretär hinaus in das Vestibül. „Brennt die Brauerei? Werden wir von einer ausländischen Flotte überfallen? Ist der Bischof ausgerutscht und ins Hafenbecken gestürzt?“
„Nichts dergleichen, Eure Exzellenz.“ Erneut schien Duckworth die Ironie in den Worten des Gouverneurs entgangen zu sein. Er reichte Sir Robert dessen Hut. „Sie sollten besser mitkommen und es sich selbst ansehen, Sir.“
Kaum hatte Duckworth diesen Vorschlag unterbreitet, drehte er sich bereits um und eilte aus der Eingangstür des Government House. Sir Robert blieb wenig anderes übrig, als ihm nachzugehen, wenn er seine Neugier befriedigen wollte. Leise murrend setzte der Gouverneur seinen altmodischen Dreispitz auf. Warum war Duckworth derart aufgeregt? Und weshalb sprach er so verlegen und rätselhaft darüber?
Die beiden Wachtposten, die den Haupteingang des Government House bewachten, tuschelten miteinander, als der Gouverneur nach draußen trat. Als sie ihn auf der Treppe erblickten, nahmen sie sofort Haltung an.
„Einer von Ihnen bleibt hier, der andere kommt mit mir.“ Sir Robert winkte den größeren der beiden Männer zu sich. „Möglicherweise brauche ich Ihre Unterstützung.“
„Jawohl, Sir!“, erwiderten die Wachen wie aus einem Mund.
Sir Robert sah den Eifer im Blick seines Begleiters aufblitzen und erkannte eine Spur von Enttäuschung bei dem Soldaten, dem er befohlen hatte, zurückzubleiben. Er an ihrer Stelle hätte genau entgegengesetzt reagiert. Seine Karriere in der Armee hatte ihn gelehrt, vorsichtig zu sein, wenn man nicht genau wusste, was auf einen zukam.
Als er die Hollis Street in nördlicher Richtung entlangging, schmerzte die alte Fußverletzung, die er in der Schlacht bei Vitoria erlitten hatte, wie es häufig bei feuchtem Wetter der Fall war. Er schenkte dem unangenehmen Pochen keine weitere Beachtung und zog angesichts des stürmischen Frühlingswindes den Hut tiefer in die Stirn. Er konnte sein Tempo nicht verringern, ohne Gefahr zu laufen, Duckworth aus dem Blick zu verlieren, der gerade um die Ecke in die Salter Street einbog. Von dort ging es direkt bergab zur Werft von Powers. Was für ein Problem hatte die morgendliche Flut angespült?
Offenbar war Sir Robert nicht der einzige Einwohner von Halifax, der sich darüber Klarheit verschaffen wollte. Beinahe so viel Schaulustige hatten sich am Kai der Werft eingefunden wie im letzten Jahr, um ihn bei seiner Ankunft in der Kolonie willkommen zu heißen.
„Aus dem Weg!“ Angriffslustig bemühte sich der Wachsoldat, den er vom Government House mitgebracht hatte, sich und ihm einen Weg durch die Menge zu bahnen. Entweder gefiel es dem jungen Sol