1. KAPITEL
Renzo Crisanti hasste England.
Er war weder Fan von London, das förmlich überquoll von Pendlern, Touristen und roten Doppeldeckerbussen, noch gefiel es ihm auf dem dauerverregneten Land. Er bevorzugte seine Heimat Sizilien mit den Bergen und dem weiten Blick aufs Mittelmeer. Für jemanden, der es aus der Armut zu einem weltweit erfolgreichen Rennfahrer gebracht hatte, war England zu nüchtern, zu grau.
Zwar hatte er seine Karriere beendet, das änderte jedoch nichts daran, dass er Sizilianer war und somit ungeeignet für das, was die Engländer Sommer nannten.
Selbst an einem Abend wie diesem, Ende Juni, war es kalt und regnerisch.
Zu dieser Jahreszeit hielt er sich lieber in seinem kleinen Bergdorf in der Nähe von Taormina auf, überragt vom prächtigen Ätna, dazu strahlender Sonnenschein und in der Ferne das warme Meer.
Stattdessen fuhr er durch die Hügellandschaft in der Nähe von Winchester, so weit draußen auf dem Land, dass es kaum Beleuchtung gab. Zwar ragte über der mittelalterlichen Stadt eine Kathedrale auf, aber Renzo bevorzugte trotzdem die raue Landschaft Siziliens. Die übertrieben gepflegten Gärten lösten Beklemmungen bei ihm aus.
Er wünschte, er hätte vor ein paar Wochen auf sein Bauchgefühl gehört.
Denn Renzo hatte vom ersten Moment an gewusst, dass Sophie Carmichael-Jones nichts als Scherereien bringen würde. Seine innere Stimme hatte ihn gewarnt, doch er hatte sie ignoriert.
Renzo war zum jährlichen Autorennen in Monaco gewesen, allerdings nicht als Fahrer. Er hatte seine Karriere vor einigen Jahren auf dem Höhepunkt beendet und seine Berühmtheit genutzt, um eine Handvoll exklusiver Clubs und Hotels sowie ein Weingut in Sizilien zu gründen. Und wo ließ sich dafür besser Werbung machen als in Monaco? Er war gerade mit Freunden etwas trinken, als Sophie ihm ins Auge fiel.
Sie überstrahlte alle anderen. Zwar trug sie ein metallic-farbenes Kleid, doch das war nicht allein die Quelle des Lichts. Es kam aus ihrem Innern.
Renzo war der Umgang mit schönen Frauen durchaus vertraut. Er zog sie förmlich an und betrachtete sich als Kenner. Doch die hier… Ihr dunkles Haar war locker zum Zopf gebunden. Ein paar Strähnen hatte sich gelöst und schimmerten im Licht rötlich. Ihre Lippen waren sirenenrot, ihre Brauen dunkel, und sie trug große glitzernde Ohrringe, die trotz ihrer Größe zweifellos echt waren. Sie war elegant. Stilvoll. Endlose Beine, die ihr etwas Fohlenhaftes verliehen, und ein bezauberndes, unverkennbar aristokratisches Gesicht.
Doch ihre braunen, mit Gold durchwirkten Augen hatten so traurig ausgesehen.
Ihre Blicke hatten sich getroffen, dort im Casino von Monte Carlo. Renzo war vom Tisch aufgestanden und auf sie zugegangen, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken.
Mitten in der Menge hatte er nur Augen für sie. Sie hatte die Luft angehalten. Er hatte gesehen, wie ihre Wangen sich röteten. Und er hatte gewusst, dass sie die elektrisierende, intensive Chemie zwischen ihnen ebenfalls