1. KAPITEL
Portland, Oregon – 2004
„Ich bin schwanger.“
Lissa Cartwright ließ beinahe die Kaffeetasse fallen, so schnell richtete sie sich in dem Terrassenstuhl auf. „Was bist du?“
„Schwanger“, wiederholte ihre Schwester strahlend.
„Großartig! Ich gratuliere!“
Ihre Schwester hatte letztes Jahr die Liebe ihres Lebens geheiratet, und der Mann verehrte sie aufrichtig. Außerdem hatte Eileen sich schon immer ein Kind gewünscht. Das galt allerdings auch für Lissa, und darum entwickelte sie jetzt gemischte Gefühle.
„Du scheinst überrascht zu sein.“
Das stimmte nicht, Lissa war vielmehr ein wenig neidisch – wie jedes Mal, wenn ihre Schwester ein großes Ziel erreichte. „Ich habe nicht so bald mit einer solchen Überraschung gerechnet, schon gar nicht so zeitig am Morgen.“
„Hast du gedacht, ich würde nur wegen des Frühstücks den weiten Weg zum Weingut auf mich nehmen?“, fragte Eileen lachend.
„Nein.“ Lissa liebte ihre jüngere Schwester. Eileen war im Gegensatz zu ihr ein Morgenmensch. Sie waren einander eigentlich überhaupt nicht ähnlich, und dafür gab es einen guten Grund. Eileen war sieben Monate nach Lissas Adoption auf die Welt gekommen.
Heute konnte Lissa nicht mehr genau sagen, wann sie begonnen hatte, sich als Außenseiterin zu fühlen. Vielleicht war es der Tag gewesen, an dem ihre Eltern ihr erklärten, es wäre etwas ganz Besonderes, das erste Kind zu sein. Seit damals jedenfalls fielen Lissa die Unterschiede zwischen ihr und ihrer Schwester auf.
Eileen war wie ihre Mutter eine zierliche und lebhafte Frau mit rötlich blondem Haar. Lissa dagegen war groß und in sich gekehrt und hatte schlichtes braunes Haar. Keiner wusste, wem sie ähnlich sah. Fest stand nur, dass es niemand aus der Familie Cartwright war.
Ihren Adoptiveltern musste sie zugutehalten, dass sie großartig waren und sie stets gut behandelt hatten. In dem Punkt gab es keine Klagen. Es war schließlich nur natürlich, dass sie ihre leibliche Tochter mehr liebten.
Eileen war außerdem alles, was Lissa nicht war. Die Unterschiede gingen weit über Äußerlichkeiten hinaus. Das hatte Lissa bereits in der ersten Klasse der Grundschule festgestellt. Das alles hatte jedoch nie die Liebe der beiden Mädchen zueinander und zu ihren Eltern beeinträchtigt.
„Hast du es Mom und Dad schon gesagt?“, fragte Lissa.
„Noch nicht. Das mache ich, wenn sie von ihrem Morgenspaziergang zurückkommen.“
Lissa ließ von der Terrasse aus den Blick über die Hügel derValencia Vineyards mit den unzähligen Weinstöcken gleiten. Sie liebte das fruchtbare Land und das Weingut, weil sie hierhergehörte und sich nur hier wohlfühlte. Deshalb frühstückte sie auch täglich auf der Terrasse hinter dem Haus, bei Regen unter dem Schutzdach und ansonsten im vollen Sonnenschein.
Ihre Eltern tauchten neben der modernen Weinkellerei auf, und allein schon daran, dass sie Hand in Hand gingen, erkannte man ihre gegenseitige Liebe. Genau danach sehnte Lissa sich – nach diesem Gefühl, zu jemandem zu gehören, zu lieben und geliebt zu werden.
„Sieh nur, da kommen sie“, sagte Lissa.
„Sehr gut. Ich kann es kaum erwarten, es ihnen zu sagen. Du weißt ja, wie Mom bei Babys ist. Erinnerst du dich, wie oft sie uns in Verlegenheit gebracht hat?“, fragte sie lachend. „Keine andere Frau stellt sich dermaßen an, wenn sie ein kleines Kind auf der Straße oder in einem Laden sieht.“
„Und ob ich mich erinnere“, bestätigte Lissa. „Du hast recht, Mom wird über ein Enkelkind begeistert sein.“ Außerdem würde Eileens Baby ein leibliches Enkelkind sein. Prompt stellte sich die übliche Unsicherheit wieder ein. „Ich freue mich für dich, und ich weiß auch, wie sehr du Dan liebst.“
Eileen griff über den Glastisch und drückte Lissa die Hand. „Ich hoffe, dass du auch eines Tages einen besonderen Mann findest, der dich liebt.“
„Danke“, erwiderte Lissa, obwohl sie nicht damit rechnete. Das Leben und die Liebe gingen an ihr vorbei. Wie viele siebenundzwanzig Jahre alte Jungfrauen li