: Jens Liljestrand
: Der Anfang von morgen Roman | »Aktueller kann ein Roman kaum sein.« Münchner Merkur
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104916378
: 1
: CHF 18.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 544
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Vier Menschen, verbunden durch das Schicksal, kämpfen um ihre Zukunft »Der beste Roman zur Klimakrise. Das Buch der Stunde.« ORF FM 4 Das ganze Land stöhnt unter Hitze und Trockenheit. Da geraten Waldbrände außer Kontrolle. Vier Menschen, verbunden durch das Schicksal, kämpfen um ihre Zukunft: Didrik muss seine Familie retten. Melissa kann sich nicht mehr im Internet verstecken. Andrés Wut wächst. Und Vilja erlebt zum ersten Mal, dass es auch auf sie ankommt. Jens Liljestrand erzählt eine unglaublich packende Geschichte zur drängenden Frage unserer Zeit: Können wir die Welt bewahren und zusammen weiterleben? »Entwickelt eine Stephen-King-ähnliche Dramatik und Spannung.« hr 2 »Packend, poetisch und psychologisch scharf. Großartig.« Dagens Nyheter, Best Book of the Year  »Bücher wie dieses sollten wir verinnerlichen - und unseren Lebensstil ändern.« Hannes Jaenicke »Atemberaubend und kraftvoll. Eine aufwühlende, beeindruckende Geschichte, unverzichtbar für unsere Zeit.« John Ironmonger, Autor von »Der Wal und das Ende der Welt«

Jens Liljestrand ist ein bekannter schwedischer Kulturjournalist, Literaturkritiker und Autor. Für seine Werke wurde er mehrfach ausgezeichnet. Sein erster Roman, »Der Anfang von morgen«, ist auch international auf überwältigende Resonanz gestoßen. Jens Liljestrand schreibt schon seit Jahren über den Klimawandel und die möglichen Folgen für uns Menschen. Die Idee, jetzt mit einem Roman in das Thema einzutauchen, entstand, als er seinen Kindern ein Korallenriff zeigen wollte, das inzwischen nicht mehr existierte. Die Arbeit an diesem Buch war für Liljestrand auch eine Möglichkeit, selbst aus der lähmenden Klima-Angst herauszukommen: »An unser zukünftiges Leben zu denken, ist hoffnungsvoll und dunkel zugleich. Es könnte eine bessere Welt entstehen aus der fundamentalen Bedrohung, für die wir alle Verantwortung übernehmen müssen. Darauf hoffe ich.«

Dienstag,26. August


Ein hartes Klopfen holt die Morgendämmerung herein, ich höre Stimmen. Carola steht in der Tür und spricht mit jemandem, ich denkeBitte bitte bitte sagen Sie, dass Sie ihn gefunden haben, sehe aber an ihrem Rücken und an ihrer müden Haltung, dass es etwas anderes ist, und sie schließt die Tür und sieht auf mich herab.

»Wir müssen los.«

Sie trägt Becka auf dem Arm, das kleine Gesicht unter das Kinn geklemmt, ihre eine Hand um den verschwitzten Nacken gelegt, die andere wiegt mechanisch den kleinen Körper.

»Kannst du aufstehen? Wir müssen in einer Viertelstunde los.«

»Wie spät ist es?«

Meine Stimme ist das heisere, kraftlose Jammern eines alten Mannes.

»Halb sieben. In einer Stunde geht ein Zug nach Stockholm. Sie brauchen die Hütten. Alle müssen raus.«

Die deutsche Familie und ihr Gepäck sind verschwunden, ich stolpere nach draußen, um zu pinkeln, und sehe sie an einem Campingtisch sitzen, es ist Morgen, aber kein Tau in der Luft, keine Vögel, nur trockenes, stickiges Schweigen, auf dem Tisch ist ein Frühstück angerichtet, auf dem Boden pfeift und blubbert ein Spirituskocher, die Jungen haben sich in Decken gewickelt und essen Butterbrote und der Vater nickt entspannt zur Begrüßung, als er mich erblickt.

»Sollt ihr auch nach Stockholm?«, frage ich auf Englisch.

»No. Kebnekaise«, er betont es richtig, spricht es allerdings mit stimmhaftem statt stimmlosem s aus,Kebnekaisse.

»Aber … das Feuer?«

Sein Gesicht verzieht sich zu einem frisch rasierten Lächeln und er deutet auf die beiden Jungen, auf ihre schicken neuen Trainingsanzüge, die Wanderstiefel und die Rucksäcke, die auf dem Boden stehen, neben dem Zelt und den Schlafsäcken.

»Sie wünschen es sich schon seit vielen Jahren«, sagt er auf Englisch. »Vielleicht die letzte Chance, einen Gletscher zu sehen. Und die Feuer hier oben sind ja die größten in Europa. In der Schule haben sie zwar diepolare Amplifikation durchgenommen, aber es ist etwas anderes, wenn man sie mit eigenen Augen sieht.«

Er betrachtet stolz seine Söhne, als er die letzten Worte sagt,wiss your own eyes, und sie heben ihre blonden Häupter, der jüngere lächelt schüchtern, der ältere spitzt verlegen die Lippen.

In der Hütte haben Carola und Vilja unsere Sachen zusammengepackt, ohne den Rollkoffer und die Ikeatüte und den Kinderwagen haben wir nicht mehr so viel, ich nehme meinen Fjällräven und die Wickeltasche, Carola ihre Handtasche und Becka im Tragetuch und Vilja den Spiderman und wir gehen los, ich trage dieselben, schmutzigen Shorts und dasselbe Lacoste-Hemd wie am Tag zuvor, wir alle tragen dieselbe Kleidung wie gestern, außer Becka, die noch eine neue Garnitur in der Wickeltasche hatte.

Wir marschieren auf einer Straße, von der ich annehme, dass sie zu einem Bahnhof führt, niemand hat gesagt, wo wir hinsollen, aber wir bewegen uns in einem dünnen Strom von Menschen, nicht gerade ein Volksmarsch, sondern eher ein paar vereinzelte Familien, die durch die Morgensonne trotten. Vor uns geht ein groß gewachsener, bärtiger Mann mit einem Baby auf dem Arm und einem Bollerwagen, in dem ein Kind von etwa fünf Jahren zwischen Kissen und Taschen sitzt, dem Gespann folgt die Mutter mit einem Rucksack und einem Verpflegungsbeutel, ich frage mich träge, was Becka wohl auf der Fahrt essen soll, vermute aber, dass Carola schon daran gedacht hat, dass sie unten in der kleinen Küche der Hüttensiedlung war und Wasser und Flaschen vorbereitet hat, sie beschäftigt sich dauernd damit. Die Scham darüber, dass ich keine Kontrolle mehr über irgendeines meiner Kinder habe, sickert zusammen mit der Scham, dass ich nicht mehr vorangehe, so wie gestern, sondern zwei Schritte hinter ihr, und sie zwei Schritte hinter Vilja, ich fühle mich wie eine zusätzliche Bürde, wie Ballast, ich will etwas sagen, ich will etwas tun, damit sie mir in die Augen sieht, irgendetwas.

»Zack«, sage ich lahm, »was machen wir mit Zack?«

»Ich bin schon seit vier Uhr wach«, sagt sie, ohne sich umzudrehen. »Niemand weiß etwas. Wir sollten noch einmal die Polizei anrufen. Kannst du das mit deinem Handy machen?«

»Es ist tot«, sage ich und schäme mich auch dafür