: George Bernard Shaw
: Künstlerliebe
: Books on Demand
: 9783753421070
: 1
: CHF 0.90
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 542
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
"Künstlerliebe" ist ein 1887 erschienener Roman des irischen Schriftstellers George Bernard Shaw. Der Originaltitel lautet"Love Among the Artists". George Bernard Shaw, meist auf eigenen Wunsch nur Bernard Shaw genannt (geboren 26. Juli 1856 in Dublin, Irland; gestorben 2. November 1950 in Ayot Saint Lawrence, England), war ein irischer Dramatiker, Politiker, Satiriker, Musikkritiker und Pazifist, der 1925 den Nobelpreis für Literatur und 1939 den Oscar für das beste adaptierte Drehbuch erhielt.

Erstes Kapitel


Es war zur Osterzeit an einem schönen Nachmittag. Kensington Gardens erstrahlten im jugendlichen Frühlingsgrün. Die Stufen des Albert Memorial wurden von Provinzlern belagert, die abwechselnd ihren Führer studierten oder zu dem goldenen Herrn unter dem steinernen Baldachin hinaufstarrten und sich dabei bemühten, die Wirklichkeit mit der Beschreibung in Einklang zu bringen. Ihre Londoner Bekannten verhielten sich völlig gleichgültig gegen Baldachin und Statue und blickten müßig auf die fashionable Fahrstraße zu ihren Füßen hernieder.

Eine besondere kleine Gruppe setzte sich zusammen aus einem alten Herrn, der sich ausschließlich mit dem Memorial beschäftigte, einer jungen Dame, die ihre ganze Aufmerksamkeit dem Reisehandbuch schenkte, und einem jungen Herrn, der die seinige wiederum ausschließlich der jungen Dame zukommen ließ.

Sie sah ganz aus wie ein Weib von Kraft und Intelligenz. Ihre kühn geschwungene Nase, das energische Kinn, der elastische Schritt, die aufrechte Haltung, das resolute Wesen, das dichte schwarze Haar, das am Nackenansatz von einem breiten, hochroten Bande zusammengehalten wurde, ließ solche Leute, denen ihre ganze Erscheinung gefiel, sie auch für auffallend hübsch halten. Die übrigen Leute hielten sie für auffallend häßlich.

Wahrscheinlich würde sie diesen letzteren ihre Ansicht auf Grund des stillschweigend inbegriffenen Zugeständnisses, daß sie wenigstens nicht alltäglich aussah, gern verziehen haben. Ihre Toilette bestand aus einem weiten, schwarzen, mit weißem Pelz verbrämten Mantel und einem breiten Hut, der mit einer roten Feder und auf der Unterseite der Krempe mit seegrüner Seide verziert war, und erwies sich demzufolge als jene besondere Art von Toilette, wie sie wohl von Frauen erstrebt wird, die sich einer nachhaltigen Selbstbildung und der Betonung der eigenen Individualität befleißigen. Sie besaß nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihrem Vater, dem grauhaarigen Herrn, der das Monument mit eifrigen, wäßrigen Augen betrachtete und von Zeit zu Zeit Ausrufe fragender Bewunderung von sich gab, die der Unsumme galten, die das Memorial wohl gekostet haben mochte.

Der junge Mann, der offenbar an die dreißig Jahre zählte, war schlank, von mittlerer Größe. Sein feinfädiges, blaßgoldenes Haar, das sich stellenweise schon in bräunliches Silber verwandelte, war an den Schläfen, wo es bereits spärlicher zu werden begann, leicht gelockt. Ein kurzer Bart ließ seine Gesichtszüge – die Züge eines Mannes von außergewöhnlich zartem Empfindungsleben und seltener Verfeinerung – markant hervortreten.

Inmitten dieser kleinen Gesellschaft war er der Londoner; und so wartete er