: Ladina Bordoli
: Katja Bendels
: Das Fundament der Hoffnung Roman -
: Heyne
: 9783641266004
: Die Mandelli-Saga
: 1
: CHF 8.70
:
: Erzählende Literatur
: German
: 368
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Zwischen Hoffnung und Liebe, Freiheit und Tradition - der Auftakt der großen Familiensaga
1956, Comer See. Als ihr Bruder bei einem tragischen Unfall stirbt und ihr Vater vor Trauer gelähmt ist, liegt auf einmal alle Verantwortung bei Aurora Mandelli. Mit neunzehn Jahren ist sie von einem Tag auf den anderen die Geschäftsführerin eines Bauunternehmens und kämpft um das Überleben ihrer Familie. Skepsis und Ablehnung wehen der jungen Frau von den Arbeitern und den Kunden entgegen. Nur der Maurer Michele scheint an ihrer Seite zu stehen. Und Aurora verliebt sich unsterblich in ihn. Doch als ein weiterer Schicksalsschlag die Familie Mandelli erschüttert, muss sich Aurora fragen, ob sie Michele wirklich vertrauen kann.

Ladina Bordoli wurde 1984 in der Schweiz geboren. Sie ist eine ausgebildete Fachfrau für Unternehmensführung, besitzt eine eigene Werbetechnik-Firma und arbeitet als Geschäftsführerin im elterlichen Bauunternehmen. Ihre Leidenschaft gilt jedoch dem Schreiben, dem sie sich überwiegend am Wochenende und an den Feiertagen widmet. Sie lebt im Prättigau, einem kleinen Tal in den Schweizer Alpen. Zuletzt bei Heyne erschienen: die dreibändige 'Mandelli-Saga'.

Kapitel 1

Cerano d’Intelvi, Norditalien

April 1956

Dunkelheit legte sich über die lombardischen Berge in der Ferne und über das kleine Dörfchen Cerano. Durch die lang gezogenen Flure des Hauses der Familie Mandelli hallten gedämpfte Stimmen. Aurora stand an der Tür zum Wohnzimmer und begrüßte Verwandte und enge Freude. Sie alle waren gekommen, um der Familie in dieser schweren Stunde beizustehen. Tröstende Umarmungen und die üblichen Beileidsbekundungen wurden ausgetauscht.

»Bitte, setzt euch.« Aurora wies auf die robusten Holzstühle, die sie in Erwartung der Kondolenzbesuche aus der Küche geholt hatten. Die feudalen Sitzgelegenheiten waren bereits vergeben. Nonna Camilla saß mit halb geschlossenen Augen in einem altrosafarbenen Sessel direkt neben der Couch und murmelte leise vor sich hin. Der rechte Mundwinkel hing dabei schief nach unten. Seit sie vor fünf Jahren einen Schlaganfall erlitten hatte, war sie nicht mehr dieselbe.

Auroras Vater hatte bleich und mit starrem Blick auf der Couch Platz genommen und umklammerte die Hand seiner Mutter, als könnte sie ihn vor dem Untergang retten. Einige betagte Dorfbewohner, die mühsam den langen Weg bis hinaus zum Landhaus der Mandellis gekommen waren, füllten die übrigen freien Sitzplätze auf dem Sofa und den Stoffsesseln. Wie Nonna Camilla dämmerten auch sie im Halbschlaf vor sich hin. Auf der linken Seite, um den steinernen Kamin herum, standen ein paar jüngere Freunde und Bekannte und unterhielten sich leise. Die schweren Stoffvorhänge, die massiven Möbel und die in die niedrige Decke eingebrachten Holzbalken verschluckten jedoch ohnehin die meisten Geräusche.

Aurora drückte sich kurz die kühlen Hände an die glühenden Wangen. Fiebrige Wärme erfüllte das volle Wohnzimmer.

In der Mitte des Raums lag Auroras Bruder Tommaso auf seinem Totenbett. Die robuste Holzwand an der Kopfseite des Sargs war mit Blumengeschenken übersät. Er war so bleich und still … Aurora konnte einfach nicht glauben, dass sie sein kehliges Lachen nie wieder hören würde.

Langsam schritt sie durch den Raum und setzte sich auf den letzten noch freien Stuhl direkt neben dem Sarg. Ihre zitternden Hände spielten mit dem Amulett, das sie um den Hals trug. Der Schmuck war einem grob behauenen Stein in Form eines Senkbleis nachempfunden und hatte ihrem Bruder gehört, der ihn niemals abgelegt hatte, weder bei der Arbeit noch beim Schlafen oder Baden. Diesen Anhänger zu tragen, gab Aurora das Gefühl, Tommaso nahe zu sein. Als das morsche Baugerüst bei der Sanierung der Hausfassade der Colombos in Castiglione unter ihm nachgegeben hatte, war das Kleinod mit ihm zusammen in die Tiefe gestürzt. Über die Details wollte sie lieber nicht nachdenken. Auf keinen Fall wollte sie seine widernatürlich verrenkten Glieder und sein blutüberströmtes Gesicht mit den erschlafften Zügen in ihrer Erinnerung verewigen …

Nein.

Sie dachte an den schiefen Schneidezahn, den man so deutlich gesehen hatte, wenn er lachte, an sein albernes Kichern, wenn er sich bei etwas ertappt gefühlt hatte, die liebevolle Art, wie er sie immerAuri gerufen hatte.<