3.
Ein guter Rat von Großmutter Henri
Es stand wieder einmal ein Besuch imLa Belle an. Er musste nach seinen Pferdchen sehen und dafür sorgen, dass die Mädchen nicht zu übermütig wurden. Immer wieder kam es vor, dass sie sich von ihren Kunden übervorteilen ließen. Three-Cent- und Half-Dime-Münzen aus der New-Orleans-Prägung wurden von der örtlichen Bank nicht angenommen, geschweige denn von den Kaufleuten in der Main Street. Dennoch landeten sie immer wieder in der Kasse, genauso wie irgendwelche glitzernden Gesteinsklumpen, die kaum einen Wert besaßen. Weil die Mädchen dumm waren.
Piet drückte die Schwingarme der Tür beiseite, trat insLa Belle und sah sich aufmerksam um. Die dicke Jacqueline, eine vorgebliche Französin mit einem Stammbaum, an dem mehr Streuner ihr Beinchen gehoben hatten, als man glauben mochte, unterhielt sich gelangweilt mit Joe, dem Pianospieler. Piet hatte noch niemals einen Pianospieler kennengelernt, der nicht Joe hieß.
Ein Neger, dessen Namen er nicht behalten hatte, reinigte Spucknäpfe. Josh, der von den Jahren gebeugte Hausdiener, der sich sein Gnadenbrot verdiente, kehrte den staubigen Boden, und die dralle Köchin schlug am Tresen mit ihrem Fleischhammer auf fetttriefende Steakscheiben ein.
Amy und Nelly, die beiden spindeldürren Geschöpfe, die aus einer der neu entstandenen deutschen Siedlungen hoch im Norden ausgebrochen waren, weil sie die streng religiösen Gesetze der Stadtgründer nicht mehr länger ertragen hatten, hielten sich eng umklammert und starrten ihn ängstlich an.
Die beiden Klappergestelle spülten trotz ihres bescheidenen Äußeren viel Geld in die Kasse. Die Cowboys und Eisenbahnarbeiter steckten ihnen gerne ein paar Cents extra zu. Sie wirkten so erbärmlich, dass selbst die Herzen der hartgesottensten Kerle weich wurden.
Steambody lehnte am Tresen und kippte sich einen kurzen Klaren hinter die Binde. Das Getränk, auf seinen künstlichen Metabolismus abgestimmt, ließ ihn gleich darauf beweglicher und selbstsicherer wirken.
»Wo sind Lulu und Cindy?«, fragte Piet die dicke Jacqueline.
»Oben«, meinte sie und feilte sich gelangweilt ihre Nägel. »Haben einen Kunden.«
»Einen?«
»Ja.« Jacqueline sah ihn furchtlos an. Sie war die Einzige, die ihm gegenüber keinerlei Respekt zeigte. »Hast du ein Problem damit? Bist ja sonst nicht so prüde.«
»Hat das Bürschlein für beide bezahlt?«
»Geht mich nichts an. Wenn Lulu und Cindy zu wenig Geld nach Hause bringen, ist es deine Pflicht, ihnen die Hintern aufzureißen.«
»Ich warne dich: Wenn du weiterhin eine große Lippe riskierst, verprügle ich dich, dass dir Hören und Sehen vergeht.«
»Ach ja?« Jacqueline lächelte ihn an. »Du willst deine beste Stute zum Krüppel schlagen? Und wer, so frage ich mich, wird dir dann deine Mahlzeiten und den Schnaps finanzieren?«
Sie griff sich an den wogenden Busen. Metallfedern sprangen unerwartet daraus hervor und zerschlitzten die fadenscheinige Kleidung. Sie griff danach, streckte lüstern ihre Zunge zwischen den rissigen Kunststofflippen hervor und sagte: »Möchtest du denn aufdas da verzichten? Gib doch zu, dass dich meine Gebirgsstöcke mehr reizen als alles andere, was du in dieser lausigen Stadt bekommen kannst.«
Sie hatte recht, verdammt! Jacqueline hatte Sachen drauf, die die jungen Dinger nicht einmal ansatzweise verstanden, und sie hatte ein höllisches Vergnügen daran, ihre Experimentierlust an ihm auszuprobieren.
»Geh nach oben!«
»Jetzt?« Sie grinste. »Meine Schicht ist noch nicht zu Ende.«
»Ich sagte: Geh nach oben!«, schrie Piet.
Piano-Joe mischte sich ein: »Hör mal, Boss, du solltest dich beruhigen.«
»Sagt wer?«
»Na ja, ich mein ja nur. Ist schlecht fürs Geschäft. Bringt Unruhe unter die Kunden, wenn zu viel schlechte Stimmung ist. Ich spiel dir ein Liedchen, Boss. Hab ich heute erst gelernt, Boss. Stammt aus der Hinterlassenschaft eines Darakir-Fomenten, der sein Federwerk über mehr als zweitausend Jahre lang mit den schönsten Tonfolgen angereichert hat, damit es nach seinem Tod, nach dem letzten Atemzug, wenn die drei Lungenblasen in sich zusammenfallen, diesen einen Song erklingen lässt …«
»Es interessiert mich nicht«, sagte Piet Rawland. Nach wie vor starrte er die dicke Jacqueline an, die keinerlei Anstalten machte, seinen Anweisungen zu gehorchen.
»Ich könnte auch virimistisches Dartentum interpretieren«, sagte Joe mit kläglicher Stimme. »Du weißt ja: Die Weisheiten mehrfacher Selbstmörder, die in einem Wettstreit um die besten Nahtoderlebnisse liegen und sich unter ärztlicher Aufsicht immer wieder hinrichten lassen. Was glaubst du, was die alles zu erzählen haben …«
»Nein!« Piet sah auf seine Uhr.
Es war spät geworden.
11.56.
Er musste diese Farce so rasch wie möglich beenden. »Halt einfach nur dein Maul, Joe. Und du, Jacqueline, bewegst deinen Hintern nach oben. Verstanden?«
»Oh, wie ich mich fürchte!« Die Dicke wackelte mit allem, was ihr zum Wackeln zur Verfügung stand. Dann wandte sie sich ihren wenigen Zuhörern zu. »Habt ihr auch so viel Angst vor Piet Rawland, dem Cowboy, Revolverhelden und Todesschützen? Bibbert ihr, wenn er zu euch tritt? Versetzen euch seine Drohungen in Angst?«
Sie lachte. »Auf mich wirkt er wie ein Versager, der starb, weil er nicht in der Lage war, sein eigenes Leben auf die Reihe zu bekommen. Er ist mit anderen Versagern durchs Land gezogen, hat sich beim Fago ausnehmen lassen, hat kleinere und größere Betrügereien begangen, um irgendwann und irgendwo von irgendwelchen Ordnungshütern abgeknallt zu werden. Und vonso einem soll ich mir Befehle geben lassen? Niemals!«
Piet Rawland zog, richtete die Waffe auf den Mund der Frau und drückte ab. Während sie starb, lachte sie weiter, als wolle sie niemals aufhören, sich über ihn lustig zu machen. Erst als er die Trommel leer geschossen hatte, zeigte die dicke Jacqueline eine Reaktion:
Ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse der Wut. Der Kopf schlug gegen den Tresen. Holz splitterte, d