Erstes Kapitel
I’m goin’ to some place
I’ve never been before
I’m goin’ where the water tastes like wine
Alan Wilson (Canned Heat)
Going Up The Country
Ich hatte herrlich lange geschlafen und ausgiebig gefrühstückt und setzte mich dann mit der Gitarre auf die Treppe, die vom Wintergarten in den Garten führte. Entspannt drehte ich mir eine Morgenzigarette, mischte zwecks Horizonterweiterung ein paar Krümel Gras dazu, sah den Rauchwölkchen nach, die im Blau verschwebten, genoss die Frühlingssonne und freute mich über das Vogelgezwitscher und das quirlige Eichhörnchenpaar, das sich im Walnussbaum tummelte. Ich klimperte auf der Gitarre und suchte für den Text, der mir seit einigen Tagen im Kopf herumging, nach einer flockigen Melodie.
Ich sitz in der Sonne,
summe mir ein kleines Lied,
blinzle zu der Wolke,
die da weiß ins Blaue zieht.
Gestört wurde meine Inspiration durch Motorgeräusch und Dieseldunst, als mein Vater mit dem Wagen in die Einfahrt einbog. Ich sah auf die Uhr. Pünktlich wie immer. Von Montag bis Freitag kam der Alte um 12:00 Uhr aus dem Büro, aß um 12:30 Uhr zu Mittag, legte sich um 13:00 Uhr eine halbe Stunde auf die Couch und fuhr dann um 13:30 Uhr zurück in die Firma.Heizungsbau, Installationen und Sanitärgroßhandel Johann Müller GmbH& Co.KG. Nach dem Krieg hatte mein Vater als kleiner Klempnergeselle die Ärmel hochgekrempelt und in die Hände gespuckt, um im Wirtschaftswunderland mit Fleiß und Schweiß auf dem sprichwörtlich goldenen Boden des Handwerks sein Glück zu machen. Die Firma war ständig gewachsen und wuchs immer noch, und alles hätte wie geschmiert ewig so weitergehen können und sollen, wenn --- ja, wenn ich mich zu einer Ausbildung aufraffen würde, mit der ich in die Firma eintreten undJohann Müller GmbH& Co.KG zuJohann Müller& Sohn GmbH& Co.KG veredeln würde. Von der Klempnerlehre bis zum Volkswirtschaftsstudium hätten meine Eltern alles Einschlägige begeistert oder jedenfalls erleichtert akzeptiert und großzügig finanziert. Als »& Sohn« wollte ich allerdings ums Verrecken nicht enden und verspürte auch nicht die geringste Neigung, Flachflansche auf Rohre zu schrauben oder die Gewinnmargen von Toilettenschüsseln zu optimieren. Nach einem mit Ach, Krach und blauem Auge bestandenen Abitur hatte ich lieber zwei, drei Semester locker vor mich hin studiert, ein Schlückchen Philosophie, eine Prise Kunstgeschichte, ein Quäntchen Literaturwissenschaft, aber heimisch wurde ich nirgends im akademischen Elfenbeinturm, der auch gar nicht aus Elfenbein, sondern aus Waschbeton war.
Meine Eltern nahmen diese Neigungen zur Brotlosigkeit mit Befremden, wenn nicht gar mit Verbitterung zur Kenntnis. Undankbar sei ich und wisse nicht, wie gut ich es habe, und solange ich meine Füße unter ihren Tisch und so weiter und so fort und überhaupt, was bloß aus mir werden solle?
Das wusste ich nicht so genau, wollte es damals auch noch gar nicht wissen, fand jedoch, im Sonnenschein auf der Schwelle zu sitzen, Gitarre zu spielen und ein Liedchen zu summen, wäre kein schlechter Anfang.
Mein Vater sah das natürlich entschieden anders. »Was gammelst du hier so nichtsnutzig rum?«, fragte er recht rhetorisch, als er die Treppe hochschnaufte. »Wie lange sollen wir dich eigentlich noch durchfüttern? Wenn du schon nichts mit der Firma zu tun haben willst, dann sieh wenigstens zu, dass du mir nicht mehr auf der Tasche liegst. Und geh mal wieder zum Friseur. Mit diesem Wischmopp auf dem Kopf findest du nie einen Job.«
Das wollte ich ja auch gar nicht – es sei denn, als Gitarrist. Aber für immer klimpernd auf der Treppe zu sitzen, war vermutlich auch keine Lösung. Und dass ich nach dem Abi zu Hause hocken geblieben war, statt schleunigst in eine andere Stadt zu ziehen, war durchaus ein Fehler gewesen. Da hatte mein Alter ausnahmsweise nicht ganz unrecht, auch wenn er es gar nicht so meinte. Geblieben war ich einzig wegen Doris, aber weil sie neulich zugunsten eines schnöseligen Zahnmedizinstudenten mit mir Schluss gemacht hatte, hielt mich nichts mehr h