: Allison Pataki
: Désirée - Im Herzen der Revolution, im Herzen Napoleons Roman
: Aufbau Verlag
: 9783841230447
: Außergewöhnliche Frauen zwischen Aufbruch und Liebe
: 1
: CHF 9.80
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 512
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Napoleo , das Kaiserreich und die Krönung einer Liebe.

Marseil e, 1794: Die Revolution hält ganz Frankreich in Atem. Désirée Clary trifft den charismatischen und ehrgeizigen Napoleon Bonaparte. Als ihre Schwester Julie seinen Bruder Joseph heiratet, wird auch Désirées eigene Zukunft unwiederbringlich mit der des jungen Generals verbunden. Napoleon macht Désirée heimlich den Hof, aber sein Versprechen, in Paris auf sie zu warten, hält er nicht ein - und nur wenige Jahre später ist er nicht nur einer der mächtigsten Männer Europas, sondern auch ihr politischer Feind ... 

Von der Bestsellerautorin von »Sisi - Kaiserin wider Willen«: der mitreißende Roman über die Frau, die Napoleons Herz eroberte - und zur Mutter einer Dynastie wurde.



Allison Pataki studierte Anglistik in Yale und arbeitete als Journalistin für die New York Times, ABC News, The Huffington Post u.v.a. sowie für zahlreiche Fernsehsender, bevor sie ihren Kindheitstraum vom Schreiben wahr werden ließ. Heute erscheinen ihre Bücher in mehr als zwölf Ländern und sind New-York-Times-Bestseller. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Familie in New York. Im Aufbau Taschenbuch ist bereits ihr Bestselleroman »Sisi - Kaiserin wider Willen« erschienen. Mehr zur Autorin unter www.allisonpataki.com

Kapitel 2

Marseille, 1794


Sobald meine Mutter zu jammern begann, verzog ich mich nach draußen. Außer unserer Köchin fiel das niemandem auf, doch ihr einvernehmlicher Blick und ihr kaum erkennbares Lächeln besagten, dass sie mein Geheimnis wahren würde.

»Psst!«, machte ich, wenn ich an der warmen Küche vorüberschlich, legte einen Finger auf meine Lippen und sah unsere Köchin bittend an. Sie nickte und griff nach der nächsten Zwiebel oder Karotte, um sie zu hacken.

Auch an diesem Morgen huschte ich an der Küche vorüber, summte vor mich hin und hüpfte hinaus in den Garten. Die Sonne war so hell, dass ich blinzeln musste. Wie gut es tat, aus der Enge unserer vollgepfropften Räume – mit zugezogenen Damastvorhängen, leisen Auseinandersetzungen und den lauten Klagen meiner Mutter über ihre Kopfschmerzen – in unseren wunderbar duftenden Garten zu verschwinden, wo leuchtende Farben auf mich einstürmten und in der milden Luft Vögel zwitscherten.

Damals wusste ich noch nicht, was für eine seltene Kostbarkeit es war, das ganze Jahr lang Vögel singen zu hören und den frischen Duft von Pflanzen zu riechen, deren saftige Blätter sich frühmorgens entfalteten, voll von den prallen Perlen des Taus. Woher hätte ich das in meinen jungen Jahren auch wissen sollen? Aber ich genoss jene heimlichen Stunden in unserem Garten. Der warme Wind strich über die Spaliere voller Hibiskus und durch die Ranken fielen dünne Schäfte Sonnenlicht. Man hörte das Geschrei der Möwen, durchsetzt vom Tuten der großen Schiffe, die in den Hafen einliefen.

Vor einigen Monaten war mein Vater gestorben, seither war die Atmosphäre in unserem Haus beklemmend geworden, ein Zustand, der sich in jüngster Zeit noch verschlimmert hatte. Meine Mutter war mit den Nerven am Ende. Jeden Tag lamentierte sie, dass wir alle das gleiche Schicksal wie unser Vater erleiden würden.

»Papa ist nicht in den Folgen der Revolution umgekommen«, erwiderte Nicolas jedes Mal. »Er musste nicht unter die Guillotine.« Nicolas war siebzehn Jahre älter als ich und nun der Patriarch der Familie Clary. Das Leid und die Furcht, die wir empfanden, drückten sich bei ihm in einer verkrampften Kinnpartie und neuen Stirnfalten aus. Trotzdem blieb er sanft und ruhig und fuhr meine Mutter nie an, wie ich es an seiner Stelle getan hätte. »Kein Tribunal hat uns irgendeines Vergehens bezichtigt, Maman.«

»Noch nicht«, entgegnete meine Mutter stets, bekam rote Flecken im Gesicht und knetete hektisch ihre Finger.

Daraufhin seufzte Nicolas geduldig. »Vater ist eines natürlichen Todes gestorben, Maman.«

»Eines natürlichen Todes? Niemals.« Meine Mutter stöhnte und antwortete immer wieder das Gleiche. »Die Sorge hat ihn umgebracht. Die Angst vor der Guillotine war sein Tod. Er hatte erkannt, dass wir alle in Gefahr sind.«

An diesem Punkt suchte Julie für gewöhnlich meinen Blick.Du sagst kein Wort, bedeutete sie mir stumm.Wenn du still bist, ist es gleich vorbei.

»Wir sind zu wohlhabend«, sagte meine Mutter, eine Beschwerde, die noch vor wenigen Jahren sonderbar geklungen hätte. »Sie werden uns holen. Wir haben schon zu lange überlebt.«

Ich war jung und naiv, eine behütete, verwöhnte Sechzehnjährige, doch ich wusste genug, um zu erfassen, dass die Ängste meiner Mutter nicht aus der Luft gegriffen waren. Unser Land war vom Wahnsinn befallen worden, von einer Schreckensherrschaft, die uns im Würgegriff hatte, gerade als hingen wir schon am Strang. Es war keine schöne Zeit, die wir in Frankreich erlebten. Unsere Furcht war so groß, dass man sie in den Straßen riechen und in den Gesichtern der Menschen erkennen konnte. Man hatte unseren König und unsere Königin ermordet, hatte sie vor den Augen einer aufgebrachten Menge enthauptet, ein schmachvolles Schicksal, das zuvor nur Verbrechern und Landesverrätern vorbehalten war. König LouisXVI. und Königin Marie-Antoinette hatten ihre Ämter von Gottes Gnade erhalten, so zumindest hatten wir es im Kloster gelernt. Inzwischen war Gott verbannt und von einem »höchsten Wesen« ersetzt worden. König und Königin waren in namenlose Gräber geworfen worden und fütterten die Würmer, zusammen mit Mitgliedern des Adels und gewöhnlichen Verbrechern. Und wer war an ihre Stelle getreten? Ein sogenannter Nationalkonvent oder die Herrschaft des Terrors. Es durfte keinen Adel mehr geben, auch unsere althergebrachte Religion war abgeschafft worden, und jeder, der über den Adel oder Gott etwas Gutes zu sagen wagte, fiel dem neuen Gesetz über die Verdächtigen zum Opfer.

Deshalb kontrollierte Maman uns noch strenger als zuvor, erst recht seit dem Tod meines Vaters. Insbesondere Nicolas bewachte sie wie eine Löwin ihr Junges. Sie war davon überzeugt, dass die Revolutionstribunale – denen ihr Mann durch seinen Tod entgangen war – sich nun an seinem Sohn und Erben rächen würden, schließlich gehörten wir Clarys zur Klasse begüterter Kaufleute und somit zum gehobenen Bürgertum. Allerdings war mein Vater aus bescheidenen Verhältnissen gekommen. Er hatte sich emporgearbeitet und im Handel mit Seide, Seife und Kaffee ein ansehnliches Vermögen erwirtschaftet. Doch Nicolas hatte das Geschäft geerbt und zählte nunmehr zu den wohlhabendsten Männern Südfrankreichs, besaß ein größeres Vermögen als etliche der Adligen, die geköpft worden waren. Das war das, was meine Mutter panisch machte. Meistens versuchten Nicolas und Julie sie zu beschwichtigen, doch dann regte meine Mutter sich nur noch mehr auf.

Ich, die Jüngste der Familie, half mir durch diese schwierige Zeit, indem ich die Einsamkeit suchte, die mir wenigstens für kurze Zeit Ruhe bot. Meistens versteckte ich mich im Garten, um den Tränen und der Sorge meiner Mutter zu entrinnen, und reckte mein Gesicht in die Sonne.

Ich vergaß nicht für eine Sekunde, dass außerhalb unseres Hauses der Terror regierte. In der Stadtmitte, dort, wo La Place war, kam man an der gefürchteten neuen Einrichtung – der Guillotine – vorüber. Zahllose Male hatte ich sie erblickt, auf dem Weg zum Markt, zum Ufer des Meeres oder an dem Bauwerk entlang, das einmal die Marienkirche von Marseille gewesen war und nun Tempel der Vernunft hieß. Ich hatte das Sägemehl auf dem Schafott gerochen, hatte die Karren erblickt, auf denen die Verdammten dorthingebracht wurden, auch die geköpften Leichen hatte ich gesehen, was das Allerschlimmste war. Ich bestritt nicht, dass wir die Hölle auf Erden hatten. Sogar jetzt in unserem Garten schauderte ich und begann trotz der warmen Morgensonne zu zittern.

Doch ebenso war ich mir darüber im Klaren, dass ich machtlos war. Es wäre müßig, mir vorzustellen, ich, eine Sechzehnjährige, könnte etwas ausrichten, wenn das nicht einmal unserem König und unserer Königin gelungen war. Meine Mutter, Nicolas und Julie waren viel eher in der Lage, für das Wohlergehen unserer Familie zu sorgen. Schon vor langer Zeit hatte ich erfasst, dass es für uns alle das Beste war, wenn ich mich abseitshielt, statt meiner Mutter noch mehr Grund zum Jammern zu geben.

An diesem Tag entdeckte ich im Garten ein Vogelnest auf der Erde. In der Nacht hatte es gestürmt und geregnet, dabei musste es aus dem Wacholderstrauch gerissen worden sein. Ich ging in die Hocke und sah die zerbrochenen Eier, die Scherben der Schalen in einem Blau gesprenkelt, das leuchtender war als der klare Himmel über mir.

Ich beugte mich tiefer hinab und spürte, wie mein Herz sich schmerzhaft zusammenzog. Es lag nicht nur an den zerbrochenen Vogeleiern, sondern auch an dem noch intakten, jedoch leeren Nest. Es hatte den Sturm und den Sturz aus dem Wacholder überstanden, und ich erkannte, mit welcher Sorgfalt die Zweige miteinander verwoben waren, um ein sicheres Heim zu schaffen, neues Leben willkommen zu heißen und aufzuziehen. Wie viel Vorfreude in diese Arbeit geflossen sein musste. Ebenso Hoffnung und ganz offenkundig Liebe. Und nun waren nur noch die zerbrochenen Eier übrig, in denen sich bereits Würmer wanden, um sich von den Überresten des...