Prolog
Île de Noirmoutier, 18. Juli 1983
Oh, mein Gott, ich bin verliebt! Verliebt in diese zauberhafte Insel! Es ist hier wirklich genau so, wie John es mir beschrieben hat – einfach magisch! Eine karge Schönheit, die sich erst auf den zweiten Blick erschließt, dieses flache Stück Land unter einem endlosen Himmel, der seit sechs Tagen wolkenlos blau ist. Allein dieses Licht ist unbeschreiblich. Nicht umsonst wird Noirmoutier auch »l’Île de Lumière« genannt, die Insel des Lichts. Ich liebe die weiß getünchten Häuser mit den hellblauen Fensterläden und den orangefarbenen Dächern, die so hübsche Namen haben wie »Toi et moi«, »Stella Maris«, »Nid d’amour« oder »Luciole«, die schmalen Gassen mit den blühenden Malven, den betörenden Duft der Pinien in der Mittagshitze und – das Meer! Es mag seltsam klingen, aber diese Insel berührt etwas tief in meinem Innern, fast so, als sei ich in einem anderen Leben schon einmal hier gewesen, und ich wünschte, ich könnte für immer bleiben. Ich liebe die Salzgärten mit den glitzernden Salzwasserbecken, in denen das Fleur de Sel gewonnen wird, das man an jeder Ecke kaufen kann.
Das Haus ist der pure Wahnsinn! Zwölf Zimmer, drei Terrassen, und aus dem oberen Stockwerk hat man einen Blick über die Dünen und den weißen Sandstrand aufs Meer! Es gibt auf dem Grundstück noch ein Häuschen, dort wohnen die Haushälterin Finette und ihr Mann, die sich hier um alles kümmern. Es ist ein absoluter Traum, und diese privilegierte, verwöhnte Bande weiß das alles überhaupt nicht zu schätzen! Für die ist das normal. Wenn ich nur höre, wo sie schon überall im Urlaub waren: Bahamas, Sylt, Kalifornien, Mallorca, Portugal! Ich bin das erste Mal überhaupt in meinem Leben am Meer! Aber das sag ich keinem. Müssen die nicht wissen.
Heute haben Götz, Stefan, Mia und ich eine Tour mit dem Méhari zum einzigen Wald der Insel gemacht, dem Bois de la Chaise. Dort gibt es einen Strand, an dem eine Reihe weißer Umkleidehäuschen aus dem 19. Jahrhundert steht, und ich habe mir vorgestellt, wie sich dort früher die feinen Damen mit Sonnenhüten und Reifröcken umgezogen haben. Es gibt wunderschöne Villen aus der Belle Époque, die versteckt an kleinen felsigen Buchten stehen, und auf einem langen Holzsteg standen Angler und hielten geduldig ihre Angeln ins Meer. Anschließend waren wir noch in der Markthalle im Hauptort Noirmoutier-en-l’Île, und spätestens da wußte ich, daß ich wirklich im Paradies bin. Aber wie in jedem Paradies fehlen auch hier die Schlangen nicht. Hätte ich geahnt, wie gräßlich und egoistisch sie sich alle benehmen, wäre ich erst später