: Dr. Dieter Heinze
: Feuerschein über den Sudeten
: Engelsdorfer Verlag
: 9783954882526
: 1
: CHF 6.40
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 365
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In der Geschichte kommt es des Öfteren zu Wendepunkten. Diese können das Schicksal der ganzen Welt beeinflussen. An so einem Wendepunkt kann das Handeln bestimmter Personen oder Personengruppen plötzlich eine überragende Bedeutung bekommen. Die Septembertage des Jahres 1938 waren ein solcher Wendepunkt der Weltgeschichte. Im September 1938 wurde entschieden, ob die 20-jährige Friedensperiode nach dem Ende des verheerenden Weltkrieges zu Ende sein würde oder, wie einer der Protagonisten, der britische Premier Chamberlain, meinte, der Frieden würde durch die Auslieferung Sudetendeutschlands an Hitler für lange Zeit gerettet. Keiner der verantwortlichen Politiker in Großbritannien, Frankreich, der Tschechoslowakei, der Sowjetunion und im Sudetenland sah den furchtbaren Abgrund, vor dem die ganze Welt stand, ein Abgrund, der zu einem noch furchtbareren Weltkrieg und zu einem Holocaust unvorstellbaren Ausmaßes führte. Noch viel weniger konnten das die Mitglieder der Sudetendeutschen Partei und die Kämpfer des Sudetendeutschen Freikorps wissen, die sich in Hitlers Arme flüchteten, weil sie meinten, dieser hätte nur ein Ziel - sie vor der Unterdrückung durch die Tschechen zu beschützen. Auch deren Gegner, die Angehörigen des tschechoslowakischen Staatsschutzkorps, glaubten, sie müssten ihre Heimat gegen eine deutsche Intervention verteidigen, obwohl sie in Wirklichkeit für eine nationalistische Politik der tschechischen Politiker geopfert wurden. Die politischen Aspekte der Ereignisse im September 1938 wurden in zahlreichen Schriften behandelt, das vorliegende Buch stellt die militärhistorischen Aspekte in den Mittelpunkt der Betrachtungen.

Teil II
1938– Der Konflikt um Sudetendeutschland spitzt sich zu


Kapitel 12

Die internationale Lage zu Beginn des Jahres 1938 und die europäischen Armeen


In der zweiten Hälfte des Jahres 1937 veränderte sich die internationale Lage zugunsten Deutschlands. Die Kampfkraft der Sowjetarmee war aufgrund der stalinschen Säuberungsmaßnahmen zeitweilig geschwächt. Frankreich war durch innenpolitische Probleme geschwächt und Großbritannien zeigte immer weniger Lust, sich in Europa zu engagieren. Beide Großmächte waren außerdem durch denÜberfall Japans auf China und den Krieg Italiens gegen Abessinien (Äthiopien) beunruhigt. Das ebenfalls faschistisch regierte Ungarn schlug einen Kurs der Zusammenarbeit mit Deutschland ein und rüstete seine Streitkräfte auf. Jugoslawien, obwohl noch in einem losen Militärbündnis mit der Tschechoslowakei befindlich, pflegte enge Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland. Durch die kurzsichtige Außenpolitik von Beneš scheiterte die Zusammenarbeit zwischen der Tschechoslowakei und Polen endgültig und Polen dachte an eine Revanche für die Okkupation des 1921 durch die Tschechoslowakei annektierten Gebietes von Teschen nach. Italien wandte sich Deutschland zu und trat dem Bündnis Deutschlands mit Japan bei, das damit zur„Achse Berlin– Rom– Tokio“ wurde. Das gemeinsame Engagement auf der Seite der Nationalisten im Spanischen Bürgerkrieg trug wesentlich zu dieser Annäherung bei. Hitlers außenpolitische Berater, vor allem von Weizsäcker, bescheinigten Hitler also eine günstige außenpolitische Lage für dessen Pläne zur Revision des Versailler Vertrages. Von Weizsäcker aber warnte, dass diese günstige außenpolitische Konstellation nicht lange anhalten würde. Obwohl Frankreich und Großbritannien nicht mit direkten Maßnahmen auf die deutsche Wiederaufrüstung Deutschlands reagierten und ihre Armeenüber Jahre hinweg vernachlässigt hatten, legten diese Großmächte aufgrund der internationalen Lage umfangreiche Programme zur Aufrüstung auf, deren Ergebnisse sich aber erst in einigen Jahren auswirken würden. Der deutsche Generalstab und insbesondere dessen Chef Generaloberst von Beck vertraten allerdings die Meinung, dass die Wehrmacht auf einen Krieg an zwei Fronten noch nicht ausreichend vorbereitet sei, und so versuchten sie, Hitler zu bremsen. Der Generalstab vertrat die Meinung, dass die Wehrmacht frühestens 1940/41 bereit sei, Hitlers Expansionspläne zu unterstützen. Das geplante Friedensheer sollte im Herbst 1940 fertig sein und das Kriegsheer zum 1. April 1943. In der Beratung am 5. November 1937 schloss sich Hitler im Prinzip den Schlussfolgerungen des Generalstabes an, trotzdem schloss er aber nicht aus, bei einer günstigen Kräftekonstellation bereits vorherÖsterreich und die Tschechoslowakei zu besetzen. Hitlers Berater hatten in den nächsten Monaten damit zu kämpfen, dass sie Hitlers Pläne für die nahe Zukunft nicht kannten. Offensichtlich wusste es dieser aber selbst nicht, er verließ sich auf seine Intuition und wollte offensichtlich je nach Entwicklung der Lage reagieren. Die ausbleibende Reaktion Frankreichs und Großbritanniens auf die deutsche Wiederaufrüstung erzeugte in ihm das Gefühl, dass er jetzt seine Expansionsziele weiter ausdehnen könnte, auch wenn der Ausbau der Wehrmacht noch nicht abgeschlossen sei.

Die europäischen Armeen zu Beginn des Jahres 1938 Frankreich

Der wichtigste Garant für die Einhaltung der Bestimmungen des Versailler Vertrages durch Deutschland war Frankreich. Dieser Staat war noch zu Beginn des 2. Weltkrieges Europas stärkste Militärmacht. Da es unmittelbar an Deutschland grenzte, konnte Frankreich seine Divisionen jederzeit in Deutschland einmarschieren lassen, um die Bestimmungen des Versailler Vertrages durchzusetzen. Frankreich konnte sich auf ein starkes personelles undökonomisches Potenzial stützen. 1938 lebten im französischen Mutterland 41,9 Millionen und im französischen Kolonialreich 69 Millionen Einwohner. Im Verlauf des 1. Weltkrieges hatte Frankreich ungeheure Anstrengungen unternommen, um die deutschen Offensiven abzuwehren. Demzufolge verfügte Frankreich 1918über 12.000 Geschütze und ungeheure Munitionsvorräte. Aufgrund der rasanten waffentechnischen Entwicklung veralteten diese Vorräte aber schnell. Die Abgeordneten des Parlamentes jedoch glaubten Deutschland ein für alle Mal besiegt und bewilligten der Armee nicht die benötigten Mittel zur Modernisierung der Streitkräfte. Die personelle Stärke und das Niveau der französischen Armee sanken immer weiter ab. Die Friedensstärke betrug nach dem Ende des 1. Weltkrieges rund 831.000 Mann und 1934 nur noch 500.000 Mann. Die Dienstzeit wurde 1928 auf ein Jahr gesenkt, das hatte natürlich Auswirkungen auf das Ausbildungsniveau. Im Falle einer Mobilmachung rechnete das französische Oberkommando mit ca. 5 Millionen Mann, die eingelagerten Reserven reichten aber nur für die Ausrüstung von 3,8 Millionen Mann. Es fehlte vor allem an modernen Waffen. Besonders vernachlässigt wurde die Ausrüstung der französischen Armee mit moderner Flaktechnik, 1938 gab esüberhaupt keine Flak in der Truppe. Wesentlich besser war die Ausstattung der Truppe mit Artillerie. Eine Infanteriedivision verfügteüber 2 Artillerieregimenter, die Armeekorpsüber Abteilungen mit 105-mm- und 155-mm-Geschützen. Darüber hinaus bestand eine sehr starke Artillerie-Hauptreserve der Obersten Heeresleitung. Insgesamt sollte die Armee in der Kriegsstärkeüber 102 Artillerieregimenter mi