: George Sand
: mehrbuch Verlag
: Lelia
: neobooks Self-Publishing
: 9783754183281
: 1
: CHF 2.50
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: Erzählende Literatur
: German
: 246
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Roman 'Lelia' von George Sand, der 1833 zum ersten Mal veröffentlich worden ist, machte die Autorin schlagartig berühmt. Er greift Themen auf, die man gerne tabuisierte und übte massive Kritik an der Gesellschaft mit ihren auferlegten Zwängen und Normen. Es ist ein Werk über Liebe, Leidenschaft, aber auch Wahnsinn und Mord. Aus heutiger Sicht ein revolutionäres Werk!

George Sand, Pseudonym und Künstlername von Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil, war eine französische Schriftstellerin, die neben Romanen auch zahlreiche gesellschaftskritische Beiträge veröffentlichte.



I.


Wer bist du? und warum kann man dich ohne Schmerz nicht lieben? Es muß ein entsetzliches, von Menschen bisher nicht gekanntes Geheimniß in dir seyn. Keinenfalls bist du aus dem nämlichen Stoffe geformt und mit dem nämlichen Leben beseelt als wir! Du bist ein Engel oder ein Teufel, aber kein menschliches Geschöpf. Warum verbirgst du uns deine Natur und deinen Ursprung? Warum wohnst du unter uns, die wir dir weder genügen, noch dich verstehen können? Wenn du von Gott kommst, so sage es und wir werden dich anbeten. Wenn du aus der Hölle kommst ... du aus der Hölle! Du, so schön und so rein! Haben die bösen Geister diesen himmlischen Blick, diese harmonische Stimme und diese Worte, die die Seele erheben und sie zu Gottes Throne tragen! Und dennoch, Lelia, ist etwas Höllisches in dir. Dein bitteres Lächeln straft die himmlischen Versprechungen deines Blickes Lügen. Zuweilen sind deine Worte trostlos wie der Atheismus: es giebt Augenblicke, wo du an Gott und an dich selbst zweifeln lassen könntest. Warum, Lelia, warum bist du so? Was machst du aus deinem Glauben, was machst du aus deiner Seele, wenn du die Liebe leugnest? O Himmel! und du könntest eine solche Lästerung aussprechen! Aber wer bist du denn, wenn du so denkst, wie du sprichst?

 

II.


Lelia, ich fürchte mich vor dir. Je öfter ich dich sehe, je weniger errathe ich dich. Du stoßest mich hinaus auf ein Meer von Unruhe und Zweifeln. Du scheinst mit meiner Angst zu spielen. Du erhebst mich bis zum Himmel und trittst mich unter die Füße. Du nimmst mich mit in die strahlenden Wolken und stürzest mich wieder in das dunkle Chaos! Meine schwache Vernunft unterliegt solchen Proben. Schone meiner, Lelia!

Gestern, wie wir die Berge besuchten, warst du so groß, so erhaben, daß ich hätte vor dir knien und deine Fußspur küssen können. Als Christus in einer goldenen Wolke verklärt wurde und den Augen seiner Apostel in einer leuchtenden Flüssigkeit zu schwimmen schien, warfen sie sich nieder und riefen: Herr, du bist wahrlich Gottes Sohn! Und als dann die Wolke zerrann und der Prophet mit seinen Jüngern den Berg hinunter ging, fragten sie sich gewiß voll Unruhe. Ist dieser Mensch, der mit uns geht, der wie wir redet, der mit uns essen wird, der nämliche, den wir eben in einem Feuerschleier und strahlend vom Geiste des Herrn gesehen haben? — So geht es mir mit dir, Lelia! Jeden Augenblick verklärst du dich vor mir und enthüllst dich wieder deiner Gottheit, um meines Gleichen zu werden, und ich frage mich dann mit Schrecken, ob du nicht eine himmlische Macht seyst, irgend ein neuer Prophet, das noch einmal unter menschlicher Gestalt zu Fleisch gewordene Wort, und ob du so handelst, Um unsern Glauben zu versuchen und die wahren Gläubigen zu erkennen!

Aber Christus!