: Max Bentow
: Das Hexenmädchen Psychothriller
: Page& Turner
: 9783641122997
: Ein Fall für Nils Trojan
: 1
: CHF 8.00
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 384
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Zwei kleine Mädchen verschwinden. Drei Menschen werden grausam hingerichtet. Und wer ist die »Hexe«, von der die Kinder erzählt haben?
Den Berliner Kommissar Nils Trojan erwartet ein alptraumhaftes Szenario, als er mitten in der Nacht am Schauplatz eines Verbrechens eintrifft: Das männliche Opfer wurde in seiner eigenen Küche auf grausame Weise hingerichtet, der Körper ist arrangiert zu einem grotesken Tableau. Noch bevor Trojan Atem holen kann, schlägt der Mörder wieder zu - und wieder trägt die Leiche die unverwechselbare Signatur des Täters.

Trojan hat nicht den geringsten Anhaltspunkt, doch dann verschwindet plötzlich die kleine Sophie, dicht gefolgt von ihrer Freundin Jule, von der ebenfalls jede Spur fehlt. Langsam beschleicht ihn der Verdacht, dass ein Zusammenhang zwischen den Fällen besteht - denn zwei Fragen gehen Trojan nicht aus dem Kopf: Warum haben die Kinder von einer mysteriösen 'Hexe' gesprochen, die sie in Angst und Schrecken versetzt? Und warum fühlte er sich beim Anblick der Mordopfer fatal an ein bekanntes Kindermärchen erinnert?

Max Bentow wurde in Berlin geboren. Nach seinem Schauspielstudium war er an verschiedenen Bühnen tätig. Für seine Arbeit als Dramatiker wurde er mit zahlreichen renommierten Preisen ausgezeichnet. Seit seinem Debütroman »Der Federmann« hat sich Max Bentow als einer der erfolgreichsten deutschen Thrillerautoren etabliert, alle seine Bücher waren große SPIEGEL-Bestsellererfolge.

Eins

Ronja schlug die Augen auf. Sie hatte wirr geträumt. Da war ein brauner Umschlag gewesen, in der Post ihres Vaters, und darin hatte sie Teile ihrer Barbiepuppe gefunden, einen Arm, den Kopf, ein Bein. Auch anderes Spielzeug war darin, alles zertrümmert, alles kaputt.

Sie atmete schwer. Es war doch nur ein Traum gewesen. Aber etwas stimmte nicht, das spürte sie sofort, ihre Hände waren schweißnass.

Sie lauschte.

Ihr Vater war draußen im Flur, seine Stimme klang seltsam gepresst. Und noch eine andere Stimme konnte sie aus­machen, dunkel und fremd. Dann fiel polternd etwas um, und wieder hörte sie ihren Vater. Es folgten ein Schlag und ein dumpfer Schmerzenslaut.

Sie setzte sich erschrocken auf, klammerte sich an ihrer Bettdecke fest.

Wer war das? Hatte ihr Vater Besuch bekommen, mitten in der Nacht? Ihre Mutter konnte es jedenfalls nicht sein, denn sie war zu einer Fortbildung gefahren und würde erst in drei Tagen zurückkehren. Ronja vermisste sie.

Sie musste nachsehen, was da draußen los war. Sie schwang sich aus dem Bett, schlich sich zur Tür undöffnete sie einen Spalt.

Gleich darauf wich sie zurück. Der Flur war hell erleuchtet, und auf dem Boden schimmerte eine Blutspur.

Sie wollte nach ihrem Vater rufen, doch etwas schnürte ihr die Kehle zu. Sie horchte. Wieder ein gedämpftes Geräusch, dann ein Wimmern. Was sollte sie nur tun?

Schließlich nahm sie all ihren Mut zusammen, glitt hinaus und folgte zögernd den Blutstropfen auf dem Dielenboden. Sie führten hin zur Küche. Da war ein leiser Tumult.

Nur noch ein paar Schritte bis zu der angelehnten Tür, sie traute sich kaum zu atmen. Wenn dahinter nun ein Einbrecher war? Bestimmt würde er auch ihr wehtun.

Erneut vernahm sie die Stimme ihres Vaters. Sie klang so sonderbar. Er stöhnte vor Schmerz.

Ängstlich starrte sie durch den Türspalt hindurch.

Da kniete jemand am Boden. War das ihr Vater?

Jemand würgte und wimmerte zugleich. Und dann zischte die fremde Stimme etwas, entsetzt taumelte Ronja zurück, erst einen Schritt, dann noch einen, schließlich drehte sie sich um und irrte ziellos im Flur umher. Ihr Atem ging stoßweise, in ihren Ohren lärmte ein merkwürdiger Pfeifton, sie hatte das Gefühl, ihr Kopf würde platzen. Der Vater hatte ihr immerzu eingeschärft, was in einem Notfall zu tun sei: zum Telefon, 110 wählen!

Auf der Kommode stand der Apparat, die Ziffern des Anrufbeantworters leuchteten in Signalrot, doch das Telefon steckte nicht in der Ladeschale. Wo war es nur? Sie sollte im Wohnzimmer nachschauen gehen, aber um dorthin zu gelangen, müsste sie an der Küche vorbei, und das war zu gefährlich.

Ihre Hände zitterten, man würde sie entdecken.

Da fuhr sie zusammen. Schläge aus der Küche, gefolgt von gepressten Lauten wie von einem verwundeten Tier. Ohne länger nachzudenken, floh sie ins Bad und schloss hinter sich ab.

Keuchend stand sie in dem halbdunklen Raum, sie wagte es nicht, das Licht einzuschalten. Sie presste das Ohr an die Tür.

Jemand wimmerte. Ihr Vater.

Wenn doch nur die Nachbarn aufwachen würden. Jemand müsste Hilfe holen und sie beide retten. Hatte sie denn die Nachttischlampe in ihrem Zimmer angeknipst? Das könnte sie verraten.

Leise schluchzte sie auf.

Niemand kam. Hilflos stand sie da. Es dauerte lange.

Schließlich herrschte Stille. Bloß das Tosen ihres Blutes war zu vernehmen und ihr heftig schlagendes Herz. Sie musste dringend aufs Klo, aber ihre Angst verbot ihr, sich zu rühren. Sie presste die Beine zusammen und wartete ab.

Mit einem Mal war ihr, als sei jemand draußen an der Tür.

Sie saß in der Falle.

Gehetzt sah sie sich um. Wo konnte sie sich nur verstecken? Hinter dem Duschvorhang vielleicht? Wenn der Einbrecher jedoch merkte, dass abgeschlossen war, wüsste er gleich Bescheid. Er würde die Tür aufbrechen, und sie wäre geliefert.

Sie zitterte.

Nichts geschah.

War der Fremde weg? Stille. Was war mit ihrem Vater? Warum rührte er sich nicht?

Schließlich glaubte sie, ein Geräusch an der Wohnungstür zu hören. Als würde sie jemand beinahe lautlos ins Schloss ziehen.

Noch immer traute sie sich nicht hinaus.

Sie brachte es nicht einmal fertig, den Toilettendeckel zu heben. Stattdessen lief warm der Urin an ihren Beinen herab, und sie weinte kaum hörbar.

Da dachte sie wieder an ihren Traum. Der Kopf ihrer Barbie­puppe, abgetrennt vom Körper.

Es erschien ihr wie eine Ewigkeit, bis sie endlich bereit war, den Riegel umzulegen. Vorsichtig drückte sie die Klinke herunter.

Im Flur brannte noch immer Licht.

Und da war das Blut.

Langsam ging sie zur Küche.

Die Tür stand nun weit offen.

»Papa?«, fragte sie leise. Aber es kam keine Antwort.

Sie stand reglos an der Schwelle.

Da bemerkte sie den Geruch. Verbrannt. Versen