: Titus Müller
: Vom Abenteuer, einen Roman zu schreiben Mit Interviews mit Andreas Eschbach, Rebecca Gablé und Kai Meyer
: Books on Demand
: 9783746060637
: 1
: CHF 6.40
:
: Lexika, Nachschlagewerke
: German
: 112
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nach zwölf Romanen gibt Erfolgsautor Titus Müller in diesem Band die Essenz seiner eigenen Schreiberfahrungen wieder, mit Leidenschaft, einem Augenzwinkern und vielen anschaulichen Beispielen aus der eigenen Schreibpraxis. Ein Buch sowohl für Schreibanfänger als auch für fortgeschrittene Autoren, die sich ihrer Fähigkeiten wieder versichern wollen.

Titus Müller, geboren 1977, studierte Literatur, Mittelalterliche Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaften in Berlin. Mit 21 Jahren gründete er die Literaturzeitschrift"Fed rwelt". Seine zeithistorischen Romane wie"Tanz unter Sternen" (2011),"Nachtauge" (2013) und"Der Tag X" (2017) begeisterten viele Leser. Titus Müller lebt heute mit seiner Familie bei München, ist Mitglied des PEN-Clubs und wurde u.a. mit dem C.S. Lewis-Preis und dem Sir Walter Scott-Preis ausgezeichnet. Im Herbst 2016 erhielt er den Homer-Preis."Titus Müller ist der Meister der spannenden Verbindung geschichtsträchtiger Themen mit fiktiven Schicksalen", urteilte der Wiesbadener Kurier, und der NDR 4 bezeichnete 2015 Titus Müllers vorletzten Roman als"eine historische Momentaufnahme voller Leuchtkraft". Weitere Informationen unter www.titusmueller.de.

Einen wilden Roman einfangen und zähmen


Ein Autor muss wissen, was er mit seinem Buch will. Ob das erkannt wird, ist eine andere Frage, aber er muss es wissen.

Klaus Wagenbach


Sportstunde in der sechsten Klasse. Unser Lehrer hat eine Neuerung eingeführt: Zu Beginn jeder Stunde sollen zwei Schüler Gymnastikübungen zu Musik vorführen, die alle anderen mitzumachen haben.

Ich besitze kein gutes Verhältnis zu meinem Körper. Wegen meines Rundrückens und der seitlich verkrümmten Wirbelsäule fühle ich mich als Krüppel. Aber es ist unausweichlich: Die Reihe kommt an meinen Freund Thomas und mich. Ich überrede ihn, die Übungen allein vorzumachen, während ich im Gegenzug die Musik auswähle. Dem Sportlehrer leuchtet unser Geschäft nicht ein. Er sieht nur, dass ich mich nach dem Auflegen der Schallplatte weiter bei der Musikanlage herumdrücke. Ich werde angewiesen, gefälligst mitzumachen. Mir bricht der Schweiß aus. Mit hochrotem Kopf verrenke ich mich vor den anderen, während mir das Turnzeug am Leib klebt.

Alles Körperliche ist mir damals verhasst. Ich schäme mich im Schwimmbad, weil man meine Rippen zählen kann und ich dünne Arme habe. Wenn irgendwo getanzt wird, haue ich ab. Selbst Umarmungen erschrecken mich.

So hätte es weitergehen können, mein Leben lang. Aber ich bin dabei nicht glücklich. Als Student nehme ich mir vor, diese verlorenen Lebensbereiche zurückzuerobern. Ich gründe mit Freunden eine Theatergruppe und übe, auf der Bühne nicht nur zu reden – das konnte ich schon immer –, sondern auch zu spielen und meinen Körper einzusetzen. Außerdem beschließe ich, Tanzen zu lernen. Ich werde ausgelacht. »Du und Tanzen? Nicht in hundert Jahren!«

Vor der ersten Tanzstunde, auf dem Weg in den Tanzsaal, stolpere ich und falle meinem Vordermann in den Rücken. »Das fängt ja gut an«, stoße ich zwischen den Zähnen hervor. Ich habe gehörig die Hosen voll. Die Tanzlehrerin beginnt, den Langsamen Walzer zu erklären, und fordert uns zu einer einfachen Schrittfolge auf. Mir bricht der Schweiß aus wie in der Sportstunde damals. Ich habe das Gefühl, dass mich alle beobachten, dass ich auffalle, weil ich besonders ungelenk bin und eine Lachnummer abgebe beim Versuch, ihre Schritte nachzuahmen.

Trotzdem bleibe ich dabei. Ich beende den Anfängerkurs, den Fortgeschrittenenkurs, mache Bronze, Silber, Gold, Gold Star. Heute ist Tanzen für mich ein Vergnügen. Ich habe mit meinem Körper Frieden geschlossen.

Mit dem Schreiben muss ich denselben Weg gehen: Anfangs fühle ich mich ungelenk und bin vom eigenen Text peinlich berührt – auch nach zwölf mit Erfolg veröffentlichten Romanen geht es mir nicht anders, ich schreibe und will das Geschriebene sofort wieder einstampfen. Aber ich tue es nicht. Ich fange mir den wilden Hengst, und er darf wild sein zu Beginn, es ist seine Natur, ich akzeptiere sie. Ist der Rohentwurf zu Papier gebracht, zähme ich ihn mit viel Geduld und Zeitaufwand. Darum geht es in diesem Buch: Wie man einen wilden Roman einfängt und zähmt.

Eine gute Portion Abenteuerlust gehört dazu. Wer mit dem Schreiben vorankommen will, darf nicht einfach bei dem stehenbleiben, was er schon kann. Er muss sich ausprobieren. Als Vierzehnjähriger habe ich mit der Schreibmaschine Abenteuergeschichten geschrieben. Zwei davon habe ich kürzlich wiedergefunden. Eine Kostprobe:


Du siehst dich in der Hütte nach der Truhe um, von der die Alte gesprochen hatte. Und wirklich, in einer dunklen Ecke siehst du eine mit hübschen Schnitzereien verzierte, alte und eingestaubte Truhe stehen. Sie sieht ri