: Isa Schikorsky
: Wer ohne Schuld ist Ein Rügen-Krimi
: Midnight
: 9783958199361
: 1
: CHF 3.50
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 250
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Hoteldirektorin Anna Schwanitz will das Grandhotel »Bellevue« auf Rügen bis zum Ende der Saison aus den roten Zahlen bringen. Doch dann ertrinkt einer der alteingesessenen Hoteliers beim traditionellen Anbaden in der eiskalten Ostsee. Kurz darauf stürzt unter mysteriösen Umständen die Journalistin Mia Rösler von der Dachterrasse des Hotels. Wurde sie gestoßen, weil sie zu tief in der totgeschwiegenen Geschichte gegraben hat? Die Berichterstattung ist für das Hotel verheerend. Anna sieht nur noch eine Chance, die Insolvenz zu verhindern: Sie muss schneller sein als die Kripo und den Fall selbst aufklären. Bei ihren Recherchen stößt sie auf die Ergebnisse von Mia Rösler. Haben die tragischen Ereignisse der »Aktion Rose« im Februar 1953 etwas mit den Todesfällen zu tun? Anna Schwanitz' zweiter Fall handelt von Unrecht, Verrat und Schuld. Und von einer Vergangenheit, die einfach nicht vergehen will.

Isa Schikorsky wuchs an der innerdeutschen Grenze mit Fernsehkrimis aus Ost und West auf. Mindestens einmal im Jahr reist die Literaturwissenschaftlerin und Historikerin auf ihre Lieblingsinsel Rügen. Seit 1989 lebt sie in Köln. Hier ist sie als Dozentin für kreatives Schreiben, freie Lektorin, Schreibberaterin und Autorin tätig. Außerdem veranstaltet sie Schreibreisen. Neben wissenschaftlichen und journalistischen Texten veröffentlichte sie unter anderem eine Biografie über Erich Kästner, Sachbücher und Kurzgeschichten. 2005 entdeckte sie den Spaß am Krimischreiben, »Wer ohne Schuld ist« ist ihr vierter Roman. Über Rügen und ihre Rügenkrimis bloggt sie unter https://schikorsky.wordpress. om

4.


»Viel zu früh« – »Er hatte noch so viel vor« – »Es trifft immer die Falschen« – »De arme Lotting« – diese und ähnliche Sätze schwirrten am Abend durch den Saal des RestaurantsNordwind. Der traditionelle Maischmaus des Tourismusvereins fand trotz des Unfalls statt, dazu war das Treffen vor Saisonbeginn einfach zu wichtig. Hier kamen alle zusammen, die mit dem Tourismus zu tun hatten, hier wurden Allianzen geschmiedet, Konkurrenten beobachtet, Absprachen getroffen. Anna saß an einer weiß gedeckten Tafel zwischen Hoteldirektoren und Pensionsbesitzern. Eine Zeit lang musste sie die Gespräche über sich hinwegrauschen lassen, weil es ihre ganze Konzentration erforderte, den Hornfisch von der grünen Gräte zu pulen. Anfangs hatte bedrücktes Schweigen geherrscht, doch nach der zweiten Runde Bier löste sich die Stimmung. Hauptthema blieb Werner Looks’ tragischer Tod. Anna meinte einen Unterton von Heuchelei aus den Trauerbekundungen herauszuhören, denn wirklich beliebt war er nicht gewesen.

Der kräftige Bass von Herbert Kruska stach aus dem Gemurmel hervor. Es schien ihm nicht viel auszumachen, dass die Vierer- nun zur Dreierbande geschrumpft war. Kruska thronte wenige Plätze von Anna entfernt an der Stirnseite des Tisches. Die goldenen Wappenknöpfe an seinem Marineblazer glänzten, das schwarze Einstecktuch statt des sonst üblichen creme- oder altrosafarbenen hatte er wohl zum Zeichen der Trauer gewählt. Alle in seiner Nähe hatten sich ihm zugewandt und aßen nur ab und zu verstohlen einen Bissen. Kruskas Teller war unberührt, er hatte die Ellenbogen aufgestützt und die Handflächen aneinandergelegt.

Der Werner hätte bestimmt nicht gewollt, dass er zu Hause bleibe und Trübsal blase, beteuerte Kruska.

»Wir hätten das nicht machen dürfen«, wiederholte er dann. »Wir sind ja keine zwanzig mehr.« Er schüttelte den Kopf, als wundere er sich über seinen eigenen Unverstand. »Die Wette war eine Schnapsidee. Wie es manchmal so geht im besoffenen Kopp«, fügte er an, »da wird man übermütig. Wir wollten es einfach noch mal wissen.«

Ulle Möller neben ihm schwieg beharrlich, starrte in sein leeres Bierglas und nickte zu Kruskas wortreichen Erklärungen im Takt. Er schien mit den Tränen zu kämpfen.

Anna wandte sich wieder dem Hornfisch zu, friemelte einzelne Stückchen von der Gräte und aß sie zusammen mit Salzkartoffeln und Gurkensalat, während sie weiter zuhörte. Jemand hatte erfahren, dass Looks’ Leiche nach Greifswald in die Rechtsmedizin gebracht worden war.

»So ein Unsinn«, brauste Kruska auf. »Verschwendung von Steuergeldern. Ich habe genau gehört, wie der Notarzt von Herzstillstand gesprochen hat, ausgelöst durch das kalte Wasser und die Anstrengung.«

Was empfand sie selbst eigentlich, überlegte Anna. Sie hatte Looks kaum gekannt und sympathisch war er ihr nicht gewesen. Sie hatten ab und zu ein paar Worte gewechselt, wenn er mit seinen Kumpanen in der Bar gesessen hatte oder sie ihm im Hotel begegnet war. Sie erinnerte sich an anzügliches Grinsen, dreistes Starren auf ihren Busen und plumpe Witze. Offenbar hatte Looks nie kapiert, dass ein übergewichtiger, hypertonischer Mittsiebziger nur mäßig attraktiv auf Frauen wirkte. Auch sein Geld machte ihn keineswegs sexy, denn davon trennte er sich ungern. Looks war bekannt dafür, dass er andere gern animierte, eine Runde zu spendieren. Kam die Reihe an ihn, musste er dringend nach Hause. Schlimm war Looks’ plötzlicher Tod natürlich für Lotte Sieb