Mittwoch, 6. Juni 2012
Polizeidienststelle Feigenbach
08.30 Uhr
Der 6. Juni 2012 war ein regnerischer Mittwoch, zu kalt für Anfang Juni. Mich fröstelte, als ich am Parkplatz der Dienststelle aus meinem Alfa stieg. Zum ersten von mehreren Malen an diesem Tag sollte mir der Gedanke kommen, dass ich doch lieber eine wärmere Jacke hätte einstecken sollen.
An der Pforte saß Toni. Er grüßte mich mit einem kurzen Nicken. Ich nickte zurück. Keine Weihnachtsfeier ohne Tonis Annäherungsversuche. Was der Alkohol nicht alles aus Menschen machen kann!
Ich bog ums Eck und wäre beinahe frontal mit Markus zusammengestoßen, der einen ungeheuren Aktenstapel auf seinen dünnen Ärmchen balancierte. Erschrocken fuhr er zusammen, woraufhin der Stapel sich bedenklich nach links neigte. Ich legte meine Hand auf die obersten beiden Ordner und stabilisierte dadurch den Turm ein wenig.
»Puh, das war knapp, Chefin«, murmelte Markus und atmete eine für seine geringe Körpergröße und Fülle erstaunlich große Menge Luft aus.
Meine Mundwinkel begannen unwillkürlich zu zucken. An diese Anrede würde ich mich erst noch gewöhnen müssen. Es war erst mein dritter Tag als kommissarische Leiterin des Dezernats für Verbrechen gegen Leib und Leben, kurz DVLL oder Dezernat II genannt, und diese neue Rolle fühlte sich noch äußerst ungewohnt an.
»Ich hoffe, du bist damit auf dem Weg von deinem Büro ins Archiv und nicht umgekehrt«, erwiderte ich, Böses ahnend.
Er schüttelte den Kopf.
»Ich dachte, es könnte Sinn machen, die Vermisstenfälle der letzten zehn Jahre nach Ähnlichkeiten mit dem Fall Annette Rieger durchzusehen«, sagte er und der eifrige Unterton in seiner merkwürdig hohen Stimme deutete an, dass er im Begriff stand, hoch qualifizierte Ermittlungsarbeit zu leisten. Markus liebte es, stundenlang in Akten zu stöbern.
Ich klopfte ihm auf die Schulter und sagte:
»Na dann, viel Erfolg! Gib mir bitte sofort Bescheid, wenn du irgendetwas findest, was wir an die Pressemeute verfüttern können. Du weißt ja, wie die uns wegen der Rieger ans Bein pinkeln.«
»Geht klar, Chefin«, erwiderte Markus und wankte davon.
In meinem Büro angekommen, stellte ich zunächst meine Handtasche neben den Schreibtisch und drehte dann die Heizung auf drei, ehe ich mich in voller Montur in meinen ledernen Chefsessel setzte. Vielleicht würde ich mich schneller an die Rolle der kommissarischen Dezernatsleiterin gewöhnen, wenn ich es mir in einem entsprechenden Möbelstück bequem machte?
Ich schaltete den PC an, ein Stoßgebet an das Schick