Nina Simone im Autoradio.It's cold out here. Reimann schien vollkommen aufs Fahren konzentriert. Auch, wenn sie im Stau standen. Er sah nicht zu ihr her, er fasste sie nicht an. Er machte keine Anspielungen. Er schwieg. Er fuhr, als wäre er allein im Auto. Das war schlimmer, als wenn er sie angegrapscht hätte. Darauf hätte sie immerhin reagieren können.
Barbara tat, als hätte sie sich in ihr Schicksal ergeben, beobachtete, registrierte, suchte fieberhaft nach einem Ausweg. Er hatte ein Auto mit Barcelona-Nummer, er hatte ein Haus hier. Man konnte davon ausgehen, dass er wenigstens etwas Spanisch sprach. Aber er hatte sie sofort auf Deutsch angesprochen. Und sie sah nun wirklich nicht deutsch aus. Sie verstand nicht, was er von ihr wollte. Nur Sex? Kaum vorstellbar. Da hatte Mr. Platin doch ganz andere Möglichkeiten. Liebe auf den ersten Blick? Haha. Diese und ähnliche Illusionen hatte Barbara schon in frühester Kindheit verloren.
Reimann fuhr auch nicht wie erwartet nach Norden in die Berge hinauf, er fuhr in den Süden, Richtung Hafen. Girona. Vermutlich hatte er da eine dieser Millionärsvillen. Barbara wollte nur noch eins, raus aus diesem verdammten Porsche. Reimann bog beim Columbusdenkmal auf die Ronda Litoral ab und fuhr nach Barceloneta rein.
Das passte plötzlich. Die Segelschuhe und dieser Matrosengeruch. Und die Erinnerung an den Zeitungsartikel. Reimann war Segler. Sicher hatte er eine Yacht im Hafen liegen. Barbara wurde schlecht, wenn sie nur an die Möglichkeit dachte, dass er sie mit auf sein Boot und aufs Meer hinausnehmen könnte. Rechts vor ihr lag der Yachthafen. Die Sonne stand tief, halb verdeckt vom Club Nautico auf der anderen Seite. Auch hier Musik bis zum Anschlag und das Krachen von Feuerwerksraketen. Bunte Lichter spiegelten sich im Wasser. Menschentrauben.
Reimann bog vorher ab. Barbara fühlte sich schlagartig vom Leben und jeder Hilfe abgeschnitten. Eine winzige Straße, fast noch auf der Fahrbahn ein langer Tisch mit Wein und Tapas. Alte Männer winkten ihnen zu, eine Frau brachte einen Teller mit gegrillten Sardinen ans Auto und lachte. Reimann nahm sich eine Hand voll. »Danke, Dolores, mein Tag ist gerettet«, er fuhr weiter. Er hatte Spanisch gesprochen. Akzentfrei, soweit Barbara das beurteilen konnte. War Reimann wirklich der, den El Pais interviewt hatte?
Reimann fuhr langsam weiter, es wurde dunkler, er bog in den Carrer d'Andrea Doria ein. Die Straße der endgültigen Havarie. Aber Reimann bog wieder ab, und wieder. Eine kleine Gasse, dann waren sie wieder nah am Meer und ganz nah am Park. Blühende Yuccas und Palmen. Und Dunkelheit. Die Lichter und der Lärm des Feuerwerks schienen plötzlich sehr weit weg. Reimann parkte den Porsche unter einem offenen Carport vor einer etwa zwei Meter hohen Mauer aus Natursteinen. Barbara wollte die Beifahrertür öffnen, aber er ließ ihr keine Chance. Er kam ihr zuvor und packte sie am Arm, sobald sie ausgestiegen war. Der Zündschlüssel steckte noch. Er hatte ihn vergessen. Barbara schlug plötzlich um sich und versuchte, sich mit einem Ruck aus seinem Griff zu befreien, aber er hielt sie brutal fest und zog sie mit. Zu einem Tor in der Mauer. Das Schloss öffnete sich auf Tastendruck. Drei, sieben, drei. Innen nur eine Klinke. Dahinter lag ein kleiner Palmengarten, Kieswege, ein flaches Steingebäude mit Bogenfenstern. Früher war es vielleicht mal eine Fischhalle gewesen. Jetzt war das Gebäude entkernt und neu durchdesignt. Reimann gab ihr kaum Zeit zum Schauen, er zerrte sie mit hinein. Zwei rohe alte Ziegelmauern übers Eck, ein Flaschenzug ins Nichts, die Reste schwarzer Zahnräder vor schneeweißem Putz, sonst nur Glas, Stahl und Licht. Dunkles Holz und weißes Leder. Eine Reihe großformatiger Schwarzweiß-Fotos in schmalen Silberrahmen. Szenen aus Barcelona. Die Ramblas, Altstadtgassen, eine Nachtbar, ein Café ... Licht und Schatten dramaturgisch gekonnt eingesetzt. Auf jedem der Fotos war ein schönes dunkelhaariges Mädchen zu sehen. Im Profil, im Hintergrund, am Bildrand. Barbara glaubte für einen winzigen Moment, sich selbst in dem Mädchen zu erkennen. Zwei riesige Bilder von Kemíl Martín, einem der Stars der Kunstszene Barcelonas. Explosionen in Rot, Blau und Schwarz. Eine minimalistische Luxusküche, eine Bartheke mit den berühmten Hockern von Javier Mariscal, dahinter einer seiner Comicteppiche aus den achtziger Jahren, ein gläserner Tisch, schwarze Stühle mit weißem Ledergeflecht, zwei handgeschnitzte antike Kontorschränke und eine Spindeltreppe nach oben zu dem halb offenen Schlafzimmer unter dem Dach. Das Ganze war eine Art Loft, Teil einer Fabrikhalle aus dem 19. Jahrhundert.
Barbara war so beeindruckt, dass sie für einen Augenblick ihre Angst vergaß. Reimann klapperte hinter der Küchenbar mit Gläsern. Ein Korken knallte. »Champagner?« Er wartete die Antwort nicht ab, kam mit zwei vollen Gläsern wieder hervor. »Das gehörte früher zu der Lokfabrik. Sie wissen ja sicher, Barceloneta wurde damals für Fischer und die Arbeiter der Lokfabrik gebaut.«
»Jedenf