: Ulla Burges
: Mein graues Paradies Wenn Eltern nicht auf Kinder hören - Inventur der Kümmernisse
: Books on Demand
: 9783756278879
: 1
: CHF 5.70
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 426
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Als Lena ihre alte Mutter bei sich aufnimmt, rückt ihr die eigene Geschichte wieder mehr ins Bewusstsein, und sie beginnt, sie aufzuschreiben: Lena wächst als Einzelkind während der 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts in einem Thüringer Dorf auf. Beide Eltern verhalten sich seltsam. Während sich der meist hilflos-resignierte Vater Lena entzieht, greift die Mutter mit Schlingpflanzenarmen nach der Tochter, die sich gegen die wortgewaltige und angstvoll agierende Mutter zu wehren versucht. So vergehen bis zu Lenas Flucht ins Studium viele Jahre. Im zweiten Teil ist Hannah, Lenas begabte Tochter, längst erwachsen mit eigenem schwierigen Sohn. Sie ist ihrem Anderssein auf die Spur gekommen innerhalb einer Therapie, in der sie ihren sexuellen Missbrauch in Kindertagen offenlegen konnte. Die Konfrontation damit zwingt Lena zur Selbstreflektion. Mein Graues Paradies ist eine autobiografische Geschichte, erzählt aus der Perspektive der Autorin. In beiden Teilen geht es um Störungen und Verstörungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen, um psychischen wie physischen Missbrauch, um die teils verzweifelte Suche nach Verstehen und Verstandenwerden, um die Dynamik innerseelischer Prozesse, um Generationen übergreifende Unfähigkeiten zwischen Eltern und Kindern - ein Psychogramm dreier Generationen einer Familie. Und im ersten Teil findet da-neben ein kleines Stück DDR-Zeitgeschichte seinen Niederschlag.

Ulla Burges, Jahrgang 1952, hat schon früh zu schreiben begonnen. Schreiben war für sie immer ein notwendiges Vehikel auf dem Weg innerer Auseinandersetzung wie auch zur Verständigung mit anderen. Ihr Weg führte sie über die Medizin in die Psychiatrie, auf Umwegen übers Theater schließlich in die Psychosomatik, wo sie als psychotherapeutisch tätige Ärztin in eigener Praxis in Niedersachsen tätig ist. Erschienen sind bisher ihr Märchenbuch Putchiqua um-um, das sie auch selbst illustriert hat, Kurzgeschichten Alle meine Freunde sowie Stücke meiner Nächte, eine CD mit (von der Tochter Katharina Burges) vertonten Gedichten der Autorin.

Der Anfang vom Ende


Sie schlurft herein zu mir, lächelt. »Was machst du hier?«

»Schreiben.«

»Immer dieses dämliche Geschreibe – worüber denn?« Sie steht neben mir, Blick auf den Bildschirm. Ob ihre Augen etwas erkennen?

»Über dich.« Ich verschiebe die Seiten; sie soll nichts lesen. Ich schäme mich, verrate sie. Sie steht bei mir, während ich über sie schreibe.

»Über mich«, murmelt sie, schüttelt den Kopf, schlurft kleinschrittig wieder hinaus. Über meiner Schulter hängt ein dünner Geruch von ihr.

Schreiben über meine Mutter. So viele Jahre her alles. Lange war ich nicht frei. Keine Distanz zu den beiden Personen, die meine Eltern waren. Wie auch. Nach meinem Auszug brauchten die neunzehn Jahre Gemeinsamkeit mit ihnen Ruhe, Ablagerung, Reifung, Katharsis, was weiß ich. Pause einfach. Bin ich jetzt frei?

Sie steht neben mir, ich schäme mich. Sie soll weggehen.

Ich will keine Rücksichten mehr nehmen, nicht an meinem Schreibtisch. Was aufgeschrieben ist, schmerzt nicht mehr. Warum schreibe ich jetzt, wo sie bei mir wohnt? Hängt vielleicht mit den Erinnerungen zusammen. Die kommen jetzt wieder.

Das alte Porträtfoto, vierziger Jahre des inzwischen vergangenen Jahrhunderts. Eine junge Frau, Mitte zwanzig, lächelt versonnen irgendwohin. Ebenmäßige Züge, weiße Zähne, hohe Stirn, dunkles, welliges zurückgekämmtes Haar. Schönes Gesicht, schöne junge Frau. Mit einem Hauch von Melancholie. Das Foto mag ich.

Meine Mutter, Esra, im letzten Jahr ihrer ersten Ehe. Ein Jahr später heiratete sie Hannes, der mein Vater wurde, nach weiteren fünf Jahren. Zur Zeit des Fotos war sie also umgeben von zwei Männern, von ihrem Ehemann, der sie verehrte schon acht Jahre, mit dem sie in Zuneigung, aber leidenschaftslos lebte, und von dem anderen, der sie heftig und glühend begehrte, bis der erste ihm bereitwillig seinen Platz zur Verfügung stellte – erzählte sie immer so.

Die Zeit ist eine böse Zauberin. Verkalkungen hier, Entkalkungen da, Grauwerden, Zahnausfall, Versteifungen, Falten, Schwerhörigkeit, Verblödung. Abbau auf der ganzen Linie. Nur ihre Stimme, solange sie sich nicht e