Der Anfang vom Ende
Sie schlurft herein zu mir, lächelt. »Was machst du hier?«
»Schreiben.«
»Immer dieses dämliche Geschreibe – worüber denn?« Sie steht neben mir, Blick auf den Bildschirm. Ob ihre Augen etwas erkennen?
»Über dich.« Ich verschiebe die Seiten; sie soll nichts lesen. Ich schäme mich, verrate sie. Sie steht bei mir, während ich über sie schreibe.
»Über mich«, murmelt sie, schüttelt den Kopf, schlurft kleinschrittig wieder hinaus. Über meiner Schulter hängt ein dünner Geruch von ihr.
Schreiben über meine Mutter. So viele Jahre her alles. Lange war ich nicht frei. Keine Distanz zu den beiden Personen, die meine Eltern waren. Wie auch. Nach meinem Auszug brauchten die neunzehn Jahre Gemeinsamkeit mit ihnen Ruhe, Ablagerung, Reifung, Katharsis, was weiß ich. Pause einfach. Bin ich jetzt frei?
Sie steht neben mir, ich schäme mich. Sie soll weggehen.
Ich will keine Rücksichten mehr nehmen, nicht an meinem Schreibtisch. Was aufgeschrieben ist, schmerzt nicht mehr. Warum schreibe ich jetzt, wo sie bei mir wohnt? Hängt vielleicht mit den Erinnerungen zusammen. Die kommen jetzt wieder.
Das alte Porträtfoto, vierziger Jahre des inzwischen vergangenen Jahrhunderts. Eine junge Frau, Mitte zwanzig, lächelt versonnen irgendwohin. Ebenmäßige Züge, weiße Zähne, hohe Stirn, dunkles, welliges zurückgekämmtes Haar. Schönes Gesicht, schöne junge Frau. Mit einem Hauch von Melancholie. Das Foto mag ich.
Meine Mutter, Esra, im letzten Jahr ihrer ersten Ehe. Ein Jahr später heiratete sie Hannes, der mein Vater wurde, nach weiteren fünf Jahren. Zur Zeit des Fotos war sie also umgeben von zwei Männern, von ihrem Ehemann, der sie verehrte schon acht Jahre, mit dem sie in Zuneigung, aber leidenschaftslos lebte, und von dem anderen, der sie heftig und glühend begehrte, bis der erste ihm bereitwillig seinen Platz zur Verfügung stellte – erzählte sie immer so.
Die Zeit ist eine böse Zauberin. Verkalkungen hier, Entkalkungen da, Grauwerden, Zahnausfall, Versteifungen, Falten, Schwerhörigkeit, Verblödung. Abbau auf der ganzen Linie. Nur ihre Stimme, solange sie sich nicht e