Eins
Ein stürmischer Apriltag. Kalt, regnerisch, mit einem Himmel, der sich selbst nicht mochte und wie zäher Erbsbrei über der Stadt hing.
Katharina Fröhlich saß mit angezogenen Beinen im Bett und starrte in einen kleinen Handspiegel. Er hatte einen Sprung und teilte ihr Gesicht in zwei traurige, blasse Hälften. »Fünfunddreißig Jahre«, sagte sie erschüttert vor sich hin. »Eine alte griesgrämige Frau. Unbemannt, ungeliebt. Erste Falten um den Mund. Gesprenkelt wie ein Perlhuhnei. Rote Haare.« Sie schob den Spiegel unter die Bettdecke und beschloss, eine lauwarme Dusche zu nehmen. Lauwarme Duschen waren so ziemlich das Ekelhafteste, das sie sich vorstellen konnte, und passten zu einer Frau, die sich langsam, aber stetig dem Altersheim näherte.
Die Wohnung war still. Und mehr als öde. Wie reizend man sich wieder einmal meines Geburtstags erinnert, dachte Kathie und zog ein fröstelndes Bein unter ihr wärmendes Flanellhemd.
Klar, dass der verdammte Simon just in diesem Moment aus seinem Zimmer kam. »Schonzeit für Störche«, sagte er und blickte trübsinnig auf Kathies nackte Zehen.
»Ich habe heute Geburtstag.«
»Ach.« Simons Vokabular war reichhaltig wie immer.
»Danke für die guten Wünsche. Und für den liebevoll gedeckten Geburtstagstisch.«
»Meine liebe Katharina. Ich bin hier nur der Untermieter. Was ist mit Tobias?«
»Tobias ist hier nur der Bruder. Von einem Bruder kann man noch weniger erwarten als von einem Untermieter.« Kathie setzte ihr fröstelndes Bein wieder auf die Erde und öffnete die Küchentür.
»Oh Gott!«, sagte sie nur und erschauderte. Denn die Küche glich Dantes Inferno. Sie war ein rotweiß kariertes Schlachtfeld, auf dem es nach Tortellini alla Milanese, überbackenem Camembert und Johannisbeergrütze roch. Teller standen herum, in einer Salatschüssel welkte braun geränderter Chicoree, rosa Lippenstift prangte an einem der Weingläser, eine weiße Seidenbluse hing am Schlüssel des Besenschränkchens. Tobias’ neueste Jagdtrophäe.
»Saustall, mistiger!«, sagte Kathie und warf die Seidenbluse über einen Stuhl.
»Man sagt nicht ›Saustall‹! Und man geifert nicht wie ein böses Marktweib.« Tobias, schlaksig und sommersprossenübersät wie seine Schwester, latschte um die Ecke des schmalen, verwinkelten Flurs und sank, von neuerlicher Müdigkeit überwältigt, auf Kater Moritz’ Lieblingsstuhl. Ein paar Strähnen seines rotblonden Haares fielen ihm in die Stirn, seine Augen, sehr hell, sehr blau, blickten treuherzig zu Kathie auf. Ein höchst lächerlicher, seinen kurzen Hosen entwachsener fünfundzwanzigjähriger Gymnasiast, dachte sie. Was die Frauen an dem nur finden!
»Wenn du schon mit einer deiner Miezen hier speist, während ich bis spät nachts im Büro sitze, dann doch bitte mit einer fleißigen Hauskatze. Die abwäscht hinterher«, sagte sie.
»Mein Faible für Hauskatzen hält sich in sehr geziemenden Grenzen.« Tobias schüttelte den Kopf. »Kathie, Kathie. Wie willst du jemals einen Mann kriegen mit deiner spießigen Einstellung!«
»Meine Einstellung scheint immer dann spießig zu werden, wenn sie für dich mit Arbeit verbunden ist.«
»Ich kann doch nicht Brian Ferry, Kerzenlicht und meinen ganzen Charme kredenzen, um anschließend neckisch mit dem Scheuertuch zu winken! Man nimmt keinen Weichspüler und schüttet pfundweise Kalk darauf.«
»Da