Kapitel 1
Nina stampfte mit ihren müden Füßen auf den Kiesboden, um sich warm zu halten. Zum fünfundneunzigsten Mal in zehn Minuten schaute sie auf ihr Handy, wobei sie es beinahe fallen ließ. Wo zum Henker blieb Nick? Er war bereits eine Viertelstunde zu spät, und ihre Finger froren ihr langsam ab. Mal ganz abgesehen davon, war ihre Stimmung sowieso schon trübselig. Der Hintereingang der Küche, der auf den Mitarbeiterparkplatz hinausführte, bot nur wenig Schutz vor dem beißend kalten Wind, der um das Sandsteingebäude pfiff – und überhaupt keinen vor den finsteren Gedanken in ihrem Kopf.
«Hey, Nina – bist du sicher, dass du nicht mitfahren willst?», fragte Marcela, eine der anderen Kellnerinnen. Sie hatte das Autofenster heruntergekurbelt, nachdem sie mit ziemlicher Geschwindigkeit rückwärts aus einem der Parkplätze gefahren war.
Nina schüttelte den Kopf. «Alles gut, danke. Mein Bruder ist schon auf dem Weg.» Zumindest hoffte sie das. Sie wünschte, sie könnte jetzt mit Marcela und den anderen beiden Angestellten in dem kleinen Auto mit den beschlagenen Fensterscheiben sitzen, und musste beinahe lachen über die Ironie der Situation. Mum hatte darauf bestanden, dass Nick sie abholte, damit Nina sicher nach Hause kam, und jetzt stand sie in der Dunkelheit auf einem Parkplatz und würde gleich vollkommen allein sein.
«Okay. Dann also bis in acht Wochen.»
«Ha!», ließ sich eine tiefe Stimme mit osteuropäischem Einschlag vom Rücksitz vernehmen – Tomas, Sommelier und Dauerpessimist. «Glaubt ihr wirklich, die Bauarbeiten sind bis dahin fertig?»
Ein gutgelaunter Chor buhte ihn aus.
«Bis bald, Nina!» Alle winkten und riefen zum Abschied durcheinander, Marcela kurbelte das Fenster wieder hoch, und dann raste der alte Polo von dannen, als könnte Marcela es kaum abwarten, ihre Schicht zu beenden und die Füße hochzulegen. Genau danach sehnte Nina sich auch, falls ihr Bruder jemals kommen sollte.
Endlich sah sie, wie sich Scheinwerfer näherten. Das musste Nick sein. Alle anderen waren schon weg. Das Auto kam so abrupt vor Nina zum Stehen, dass die Kiesel spritzten.
Sie riss die Beifahrertür auf.
«Hey, Schwesterchen. Wartest du schon lange? Sorry, Notfall bei den Schafen.»
«Ja», fauchte Nina, dankbar für die Wärme im Auto. «Draußen ist es arschkalt. Ich bin so froh, wenn mein Auto wieder heil ist.»
«Ich auch. Ich bin gerade erst wieder halbwegs warm geworden. Blöde Schafe. Auf dem Moorweg hatte sich eins der Muttertiere im Zaun verhakt. Ich musste anhalten und das dumme Schaf befreien.»
War es schlimm von ihr zu denken, dass das Schaf wenigstens einen schönen Wollmantel trug, während sie an einem kalten Februarabend nur in Rock und Strumpfhose draußen stehen musste?
«Also, wie war der letzte Abend?», fragte Nick und stellte das Radio ab, aus dem in voller Lautstärke die Stimme eines Fußballkommentators schallte. «Hat deine Freundin eine schöne Abschiedsfeier bekommen?»
«Ja. Es war ein bisschen traurig, weil wir uns wegen der Renovierung alle ein paar Wochen nicht sehen. Und Sukie geht nach New York