: Fjodor Dostojewski
: Die Dämonen Roman in drei Teilen
: Aufbau Verlag
: 9783841228154
: 1
: CHF 8.10
:
: Hauptwerk vor 1945
: German
: 944
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Intrigen und Irrsinn.

Die Generalswitwe Warwara Petrowna und der ehemalige Hauslehrer Stepan Trofimowitsch haben sich in einiger Entfernung von St. Petersburg zur Ruhe gesetzt. Unerwartet tauchen ihre inzwischen erwachsenen Söhne auf und kehren das Unterste zuoberst. Ein »revolutionäres Komitee« soll sämtliche Autoritäten stürzen. Dämonen gleich, überzieht es die Stadt mit einem Spinnennetz von Intrigen und aufrührerischen Ideen, bis alles außer Kontrolle gerät. Ein Roman über das Russland des 19. Jahrhunderts, in dem der bröckelnde Zarismus mit neuen zerstörerischen Kräften zusammenprallt.

»Dostoj wski ist ein Ozean bei hohem Seegang, unzuverlässigen Winden und abrupt wechselnder Temperatur.« FAZ



Fjodor Dostojewski (1821-1881) wurde in Moskau als Sohn eines Militärarztes und einer Kaufmannstochter geboren. Er studierte an der Petersburger Ingenieurschule und widmete sich seit 1845 ganz dem Schreiben. 1849 wurde er als Mitglied eines frühsozialistischen Zirkels verhaftet und zum Tode verurteilt. Unmittelbar vor der Erschießung wandelte man das Urteil in vier Jahre Zwangsarbeit mit anschließendem Militärdienst als Gemeiner in Sibirien um. 1859 kehrte Dostojewski nach Petersburg zurück, wo er sich als Schriftsteller und verstärkt auch als Publizist neu positionierte.

Wichtigs e Werke: 'Arme Leute' (1846), 'Der Doppelgänger' (1846), 'Erniedrigte und Beleidigte' (1861), 'Aufzeichnungen aus einem Totenhaus' (1862), 'Schuld und Sühne' (1866), 'Der Spieler' (1866), 'Der Idiot' (1869), 'Die Dämonen' (1873), 'Der Jüngling' (1875), 'Die Brüder Karamasow' (1880).

Zweites Kapitel
Prinz Heinrich • Eine Brautwerbung


1


Es existierte auf Erden noch jemand, an dem Warwara Petrowna ebenso hing wie an Stepan Trofimowitsch – ihr einziger Sohn Nikolai Wsewolodowitsch Stawrogin. Seinetwegen war Stepan Trofimowitsch ja als Erzieher ins Haus gekommen. Der Junge war damals acht Jahre alt, und sein Vater, der leichtfertige General Stawrogin, lebte zu jener Zeit bereits getrennt von seines Sohnes Mutter, so daß das Kind unter ihrer alleinigen Obhut aufwuchs. Man muß Stepan Trofimowitsch Gerechtigkeit widerfahren lassen: Er verstand es, die Zuneigung seines Zöglings zu gewinnen. Das ganze Geheimnis bestand freilich darin, daß er selber ein Kind war. Mich gab es damals noch nicht, einen wahren Freund aber hat er stets gebraucht. Daher zögerte er nicht, ein so kleines Wesen, sobald es nur ein wenig herangewachsen war, zu seinem Freunde zu machen. Alles fügte sich höchst natürlich, und zwischen den beiden gab es nicht die geringste Distanz. Immer wieder kam es vor, daß er seinen zehn- oder elfjährigen Freund in der Nacht weckte, nur um ihm unter Tränen sein verletztes Herz auszuschütten oder ihm ein häusliches Geheimnis zu entdecken, und er bemerkte nicht, daß dies absolut unverantwortlich war. Sie stürzten einander in die Arme und weinten. Der Junge wußte, daß seine Mutter ihn innig liebte, er selber indes empfand für sie kaum große Zuneigung. Sie sprach nur wenig mit ihm, schränkte seine Freiheit sehr selten ein, aber ständig spürte er gleichsam schmerzhaft ihren wachenden Blick. Dennoch, in allen Fragen des Unterrichts und der sittlichen Erziehung genoß Stepan Trofimowitsch ihr absolutes Vertrauen. Damals glaubte sie noch vorbehaltlos an ihn. Vermutlich hatte der Pädagoge den Nerven seines Zöglings etwas zuviel zugemutet. Als der Sechzehnjährige ins Lyzeum gebracht wurde, war er kränklich und blaß, auffallend still und grüblerisch. (Später zeichnete er sich durch außergewöhnliche Körperkraft aus.) Es muß auch angenommen werden, daß es nicht immer nur Hausklatsch war, weswegen die beiden Freunde zu nächtlicher Stunde weinten und einander in die Arme fielen. Stepan Trofimowitsch verstand es, an die verborgensten Saiten im Herzen seines Freundes zu rühren und ein erstes, noch unbestimmtes Empfinden jener ewigen, heiligen Sehnsucht in ihm auszulösen, die so manche auserwählte Seele, hat sie sie einmal gekostet und erlebt, nie wieder gegen billige Befriedigung eintauscht. (Es gibt auch Naturen, denen diese Sehnsucht teurer ist als extreme Befriedigung, selbst wenn es eine solche überhaupt gäbe.) Jedenfalls war es gut, daß Zögling und Erzieher, wenn auch spät, voneinander getrennt wurden.

Aus dem Lyzeum kam der junge Mann in den ersten zwei Jahren über die Ferien nach Hause. Als Warwara Petrowna und Stepan Trofimowitsch sich in Petersburg aufhielten, wohnte er gelegentlich den literarischen Abenden bei, die seine Frau Mama veranstaltete, hörte zu und beobachtete. Er selbst sprach wenig und zeigte sich unverändert still und scheu. Stepan Trofimowitsch brachte er die frühere zärtliche Zuneigung entgegen, aber schon mit gewisser Zurückhaltung; sichtlich vermied er es, mit ihm über erhabene Gegenstände und Erinnerungen an vergangene Zeiten zu sprechen. Nach Abschluß des Lyzeums trat er auf Wunsch seiner Mama in den Militärdienst und wurde bald in eines der angesehensten Gardekavallerieregimenter aufgenommen. Auf Besuch nach Hause, sich der Mama in Uniform zu präsentieren, kam er nicht, und er schrieb nur noch selten aus Petersburg. Geld schickte Warwara Petrowna ihm reichlich, obgleich die Einnahmen von ihren Gütern nach der Reform so rapide gesunken waren, daß ihr nicht einmal die Hälfte der früheren Erträge blieb. Durch langes Sparen hatte sie indes ein gewisses, nicht unbeträchtliches Kapital anhäufen können. Mit großem Interesse registrierte sie die Erfolge ihres Sohnes in der höchsten Pe