PROLOG
April
Tag der Freshman-Tränen, Freshman-Jahr
»Hast du alles, Munchkin?«
Bei der Frage meines Vaters, dessen Stimme heute ein wenig brüchig klang, begutachtete ich die zwei Reisetaschen und den kleinen Pappkarton zu meinen Füßen, in denen ich in knapp zwei Stunden meine wichtigsten Habseligkeiten verstaut hatte. Eigentlich sollte es mich nicht überraschen, dass die letzten achtzehn Jahre meines Lebens mühelos da hineinpassten, dennoch hinterließ der Anblick bei mir einen fahlen Beigeschmack.
In unzähligen YouTube-Videos plagten andere Freshmen überlebensnotwendige Entscheidungen, was sie von ihrem heiß geliebten Kram bloß mit an die Uni nehmen sollten und was nicht – ihre Zimmer wie Zeitkapseln voller Erinnerungen, die sie nicht verlassen wollten.
Dieses Problem kannte ich nicht, denn alles, was ich besaß, passte in besagte zwei Reisetaschen und einen Pappkarton. Mein Leben war, dank meiner Mutter, stets zu unstet und chaotisch gewesen, um Dinge anzusammeln, die anderen als Erinnerungen dienten.
»Ja.« Ich schulterte eine der Taschen, bevor ich noch weiter im Sumpf meiner trübsinnigen Gedanken versinken konnte. Heute war ein guter Tag, und den würde ich mir auf keinen Fall von den Regenwolken in meinem Kopf versauen lassen. Ich drückte die Schultern durch und griff mir dann den Pappkarton, während mein Dad sich die andere Tasche schnappte. »Ich hab alles, Dad.«
Seine moosgrünen Augen, die mich bereits mein Leben lang begleiteten und die mir vertrauter waren als meine eigenen, sahen mich besorgt an. »Sicher?«
»Ganz sicher.« Ich stieß meinen Dad aufmunternd mit der Schulter an und steuerte auf meine Zimmertür zu, ohne einen Blick zurückzuwerfen. »Außerdem muss ich langsam los, wenn ich noch pünktlich zur Zimmerverteilung in San Teresa ankommen will.«
»Okay.« Ich hörte, wie die alten Holzdielen unter den Sohlen meines Vaters knarrten, was bei seiner Körpergröße und massigen Statur, die er allein meinem großen Bruder Noah vermacht hatte, kein Wunder war. »Und ich soll wirklich nicht mitkommen?«
Ich verkniff mir einen sarkastischen Kommentar darüber, dass ich gezwungenermaßen schließlich schon mehr als einen Neuanfang hinter mir hatte und nicht ausgerechnet jetzt auf fürsorgliche Unterstützung angewiesen war. Stattdessen beschleunigte ich meine Schritte, die mich ohne Umschweife direkt zu den Treppen brachten, die uns vom dritten Stock bis ganz nach unten in das große Foyer derKings Lodge führen würden. Diese Lodge war der ganze Stolz meines Vaters, der sie ganz allein, ohne jegliche Hilfe, leitete, obwohl wir ständig ausgebucht waren. Er ging vollkommen darin auf, sich um die Gäste aus aller Welt zu kümmern, während meine Mom ihre Tage im Nationalpark verbrachte, jetzt, wo sie endlich mal einen Arbeitsvertrag bekommen hatte, der länger lief als eine lausige Saison. Hatte ja auch nur über zwanzig Jahre gedauert.
»Das ist lieb, aber ich komme schon klar. Außerdem sind wir ausgebucht.«
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