Prolog
Die Morgensonne tauchte den Himmel in ein orange-violettes Farbenmeer, als das Luftkissenboot sich dem Ufer näherte. Noch war die Bucht ein milchig grauer Streifen, ihre Konturen waren verschwommen. Und doch erkannte er den bewaldeten Landvorsprung, den weit ins Wasser ragenden Steg, die konvex geschwungene Hotelfront mit den gleichmäßigen Balkonen.
»DiePlage du Rayol«, flüsterte er. »So ein verdammter Mist.«
Die ersehnte Küste hatte vor ihm gelegen wie das gelobte Land. Erleichtert hatte er auf sie zugehalten, nur um jetzt festzustellen, dass er viel zu weit abgetrieben war.
Er hatte gedacht, sich weiter westlich zu befinden, in der Nähe des Hafens von Le Lavandou. Von dort hätte ein Rettungshubschrauber ihn zumHôpital de Sainte Marguerite in Marseille bringen können, dessenCentre hyperbare über moderne Überdruckkammern verfügte. Doch er hatte die Orientierung verloren, hatte immer wieder innegehalten, um gegen den Schmerz anzuatmen, der sein Innerstes in Stücke riss. Er brauchte dringend einen Arzt.
Er reduzierte die Geschwindigkeit und überlegte, was er tun sollte, doch die Benommenheit machte es ihm unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen.
Ratlos sah er zum Ufer. Der Morgennebel hatte sich gelichtet, die aufeinandergestapelten Liegestühle aus bespanntem Stahlrohr waren nun zu erkennen. Der türkisblau flatternde Windschutz.
Der Tag versprach schön zu werden. Vierundzwanzig Grad waren angesagt, bei leichten Böen. In weniger als einer Stunde würde sich der Strand mit Urlaubern aus demHôtel Le Bailli de Suffren füllen. Männern und Frauen, Kindern mit Sonnenhüten und Sandeimern. Die Gesichter eingecremt, zum Schutz vor der Maisonne. Doch jetzt war der Abschnitt menschenleer.
Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete er die Strandlinie, während er mit den Fingern seine Stirn massierte, um die Benommenheit zu vertreiben. Sein Blick fiel auf die steil aufragenden Klippen links der Badebucht. Unwillkürlich musste er lächeln. Davor, im Schatten der Agaven, hatten sich Camille und er im Sommer vor drei Jahren zum ersten Mal geküsst.
Ihre Lippen waren warm und weich gewesen. Immer wieder hatte ihr Mund den seinen gesucht. Mit jedem Kuss war ein Stromschlag durch seinen Körper gegangen und das Verlangen nach mehr. Ihre Gegenwart genügte, um ihn zu entflammen. Daran hatte sich bis heute nichts geändert.
Das Verlangen, sie noch einmal im Arm zu halten, riss ihn zurück in die Gegenwart.
Er überlegte, wieder Fahrt aufzunehmen und der Küstenlinie weiter zu folgen, als ihn ein erneuter Krampf durchzuckte. Er würde es nicht bis Le Lavandou schaffen. Der Rettungshubschrauber musste hierherkommen, und zwar sofort.
Inzwischen war er bei den gelben Bojen angelangt, die den Badebereich abgrenzten. Er gab Gas, hielt direkt auf den Strand zu. Die Geschwindigkeit trieb den Bug in die Höhe, als ein fürchterliches Knarzen erklang und der Motor abrupt mit einem Ächzen erstarb.
Irritiert sah er in Richtung des Propellers, von dem das Geräusch ausgegangen war. Das Boot drehte jetzt wieder in Richtung des offenen Meeres. Hektisch versuchte er gegenzulenken, ohne Erfolg. Offenbar war die zwischen den Bojen gespannte Leine gerissen und hatte sich in der Schraube verheddert. In diesem Zustand, daran gab es keinen Zweifel, war das Boot manövrierunfähig.
Fluchend griff er nach seinem Mobiltelefon, in der Hoffnung, inzwischen wieder Empfang zu haben, doch es glitt ihm durch die zitternden Hände, prallte an der luftgefüllten Bordwand ab und fiel in hohem Bogen ins Wasser.
»So ein verdammter Dreck!« Ihm entfuhr ein Schluchzen, das in einen neuen Krampf überging. Der Schmerz hatte inzwischen eine Heftigkeit erreicht, die ihm die Luft nahm. Er schie