: Martin Walker
: Hotel Schräg
: Dörlemann eBook
: 9783038209225
: 1
: CHF 13.40
:
: Erzählende Literatur
: German
: 156
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Haarsträubend komisch und betörend unterhaltsam -ein echter Walker! Das Hotel Schräg - seit vier Generationen in Familienbesitz - erlebt bis Ende der dreißiger Jahre turbulente Zeiten und ist ein beliebter Künstlertreffpunkt in den Bergen. Picasso und Duchamp sind hier ebenso abgestiegen wie Malewitsch oder der Fotograf Valéry Valse. Nun allerdings dümpelt das Hotel seit Jahrzehnten vor sich hin. Bis sich der junge Kunsthistoriker Benoît Flucks mit seiner Freundin Lola im Hotel einquartiert. Flucks hofft, hier bisher unbekannte Fotografien des Künstlers zu finden. Hotelier Alain Schräg weiß sehr genau, dass es nur noch ein einziges erhaltenes Werk gibt. Doch sieht Lola einem von Valse' Modellen verblüffend ähnlich, und er hat eine Idee.

Martin Walker, geboren 1965, ist Journalist, Autor und Verleger in Zürich. »Hotel Schräg« ist sein erster Roman. Zusammen mit Anica Jonas verfasste er »Die Schweiz für die Hosentasche. Was Reiseführer verschweigen«, erschienen im S. Fischer Verlag.

Das ist Kunst


»Was machen wir heute?«, fragt Lola und wundert sich ein wenig, dass sich Alain noch nicht gezeigt hat. Das Frühstück nämlich hat sein Vater Emil serviert. Wortkarg, nicht unfreundlich, und er hat sie zu lange angeschaut dabei.

Das Frühstück ist im Vergleich zum Essen vom Vortag ein Fest – sieht man einmal vom dünnen Kaffee und der Haut auf der warmen Milch ab. Benoît und Lola tunken Speck in Eigelb, schmieren Brote, er liest das Lokalblatt von letzter Woche. Wundert sich über die Kleinanzeigen, gesucht werden tüchtige Frauen und Aebi-Ersatzteile, angeboten werden Kaninchenställe und Melkanlagen. Das Kreuzworträtsel ist ausgefüllt, die Kästchen vom Lösungswort sind leer. Benoît überfliegt die entsprechenden Buchstaben: Sie geben keinen Sinn.

»Ich versuche, auf der Gemeinde etwas herauszufinden über Valse, die werden ja wohl irgendwelche Aufzeichnungen haben, Meldezettel, was weiß ich.«

»Nach über fünfzig Jahren?«

»Beamte bewahren doch alles auf.«

»Dann schau ich mich in der Gegend um. Vielleicht begleitet mich ja Alain auf einen Spaziergang …«

Keine Reaktion. Nur ein »Mach das, tut dir gut«.

Und wie gut ihr das tun würde, denkt Lola und nimmt – sie weiß, das würde Benoît ärgern – noch eine Scheibe Brot, schmiert Erdbeerkonfitüre darauf und krönt das Ganze mit zwei Stück Tilsiter.

»Ich werde nie verstehen, wie du so etwas essen kannst«, tönt es von hinter der Zeitung hervor. Er musste an den Kleinanzeigen vorbeigelinst haben.

Benoît macht sich an seine Recherchen, hat sogar ein Notizbuch eingesteckt, einen kleinen Fotoapparat, eine Videokamera – wer weiß, vielleicht ergibt sich ja die Möglichkeit, ein Making-of seiner Arbeit zu produzieren, man kann nie genug Material dafür haben.

Lola wandert durch das Slant House. Leer. Totenstill. Noch nicht mal aus der Küche hört sie ein Geräusch. Der Alte muss, nachdem er das Frühstücksgeschirr abgeräumt hat, verschwunden sein. Auch von draußen nichts. Kein Mensch unterwegs, und das morgens um zehn nach zehn. Sie sieht das Schlüsselbrett beim Empfang: 01, 03, 05, 70, 80, 90, 111, 222, HKW. Den Schlüssel für die Nullfünf trägt sie selber schwer in der Tasche, der Haken bei HKW – HKW? – ist ebenfalls leer. Das will ich sehen, denkt sie, den Süd- und die anderen Flügel der Schrägs. In einer dunklen Ecke entdeckt sie einen Bilderrahmen, getraut sich aber nicht, hinter die Theke zu gehen, um ihn näher anzuschauen.

Eine zweite Treppe führt ebenfalls ins erste Stockwerk, wo sie auf Anhieb die Zimmer 70 bis 90 findet, ein länglicher, zweigeschossiger Anbau, der entfernt an ein amerikanisches Motel erinnert, soweit sie das vom Flur aus erkennen kann. Alles abgeschlossen. Die übrigen Zimmer scheinen nicht zu existieren. Lola verlässt das Slant, geht um das Haus herum und sieht plötzlich einen ang