EINS
Als das iPhone auf der Küchenablage vibrierte, liess Valérie Lehmann feinsten kolumbianischen Kaffee in die Tasse träufeln. Gewiss war es Katja, der sie am Vorabend versprochen hatte, mit ihr in Zürich einkaufen zu gehen. Valérie hatte vorgehabt, den Donnerstag freizunehmen und dafür über das Wochenende zu arbeiten, wenn im Büro weniger Betrieb war. Sie hatte noch eine Menge nachzuholen. Sie drückte den Knopf an der Maschine und zog die Tasse unter dem Kolben weg. Wenn es um die Zubereitung von Kaffee ging, mochte sie das Altbewährte. Von den Hightechmaschinen hielt sie grundsätzlich nichts.
Mit dem iPhone in der Hand schritt sie zum Fenster, wo sie den Flügel öffnete. Die Sicht auf dieMythen war überwältigend. Ihre Flanken waren eingezuckert. In den letzten Tagen hatte es oberhalb von sechzehnhundert Metern noch einmal geschneit. Der Frühling liess auf sich warten. Das Klima hatte sich verändert, fand Valérie. Nach dem nassen Sommer war der Herbst bis in den Winter hinein mild gewesen. Jetzt musste man büssen.
Sie meldete sich.
In der Leitung knisterte es, bevor Valérie eine Stimme vernahm. «Jole von Reding.»
«Frau Staatsanwalt …!» Valérie schluckte leer. «Frau Dr. von Reding.» Sie hatte mit jeder gerechnet, nur nicht mit ihr. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Valérie hatte sie erst ein Mal aus der Ferne gesehen. Diese kleine, gertenschlanke Frau mit dem Kurzhaarschnitt und den listigen Augen. Man munkelte, sie sei nicht sehr beliebt. Böse Zungen behaupteten sogar, dass man ihr nichts recht machen könne. Und sie sich, wenn sie wütend sei, wie ein Elefant im Porzellanladen benehme – diese zierliche Frau.
«Doktor können Sie weglassen. Frau Lehmann, ich mache es kurz: Letzte Nacht wurde der Arzt Joachim Heinzer in seinem Haus getötet. Er ist Gynäkologe und gehört in Schwyz zur obersten Liga. Auch in der Politik ist er kein Unbekannter.»
«Müsste ich ihn kennen?» Da war eine klitzekleine Erinnerung, die sich jedoch wie ein Schemen wieder verflüchtigte.
«Soviel ich weiss, sind Sie erst kürzlich bei der Kantonspolizei Schwyz vereidigt worden», wich von Reding ihrer Frage aus. «Ihr Chef hält grosse Stücke auf Sie. Ich selbst bin von Ihrer Vita sehr angetan. Sie sind genau die Person, die wir jetzt brauchen. Ich will, dass Sie die Ermittlungen leiten.»
So, wie von Reding es sagte, duldete sie offenbar keine Widerrede. Valérie kam es trotzdem sonderbar vor. Sie arbeitete noch keine fünf Wochen in der Abteilung Leib und Leben und hatte von den Arbeitsgepflogenheiten hier noch wenig Ahnung. Zudem hatte sie noch nicht einmal alle Lehrgänge absolviert, die nach Schwyzer Verfassung verlangt wurden. Andererseits war sie für ihren Scharfsinn bekannt. Das musste wohl bereits die Runde gemacht haben.
«Sie sind unvoreingenommen», sagte von Reding, als hätte sie Valéries Gedanken gelesen. «Der Fall dürfte meines Erachtens heikel sein. Deshalb bitte i