Kapitel 2 - Fayori
Jemand zog sie ein paar Schritte nach hinten, riss sie herum und drückte sie mit dem Rücken gegen die Stadtmauer.
Angstvoll presste sie die Lider zusammen und wartete darauf, abgeschlachtet zu werden – so wie all die anderen, die nicht als Gefangene aus der Stadt geführt worden waren. Als nichts geschah, öffnete sie zaghaft die Augen. Entsetzt weiteten sich diese, als sie erkannte, dass es Sedan war, der sie festhielt.
Sein blondes Haar war zerzaust, nicht wie sonst glatt nach hinten gelegt, und seine grünblauen Iriden dunkler, als Fayori sie in Erinnerung hatte. Ansonsten sah er aber noch immer wie der zwanzigjährige Junge aus, dem sie in ihren Erinnerungen beinahe täglich begegnet war.
Er sah sie mit finsterer Miene von oben herab an und legte einen Finger auf die Lippen, um ihr zu bedeuten, sich ruhig zu verhalten. Erst als sie nickte, löste er die Hand von ihrem Mund. Dann bückte er sich nach Neylah, die ein Stück neben ihnen lag.
Doch Fayori würde nicht zulassen, dass er sie beide zu Mitzum brachte. Sofort holte sie aus, um nach ihm zu treten.
Damit hatte er aber wohl gerechnet, denn er griff nach ihrem Bein, hebelte sie aus und warf sie nach hinten. Alle Luft wurde aus ihrer Lunge gepresst, als sie hart auf dem Rücken aufschlug.
Sogleich war er über ihr und hielt ihr abermals den Mund zu. Hektisch ruckte sein Kopf in Richtung der Straße. Erst nach ein paar Sekunden senkte er den Blick wieder.
»Ich bin gekommen, um euch zu helfen«, wisperte er. »Also versuch so etwas nicht ein zweites Mal.«
Er ließ von ihr ab und griff stattdessen nach einer ihrer Hände, um sie wieder auf die Füße zu ziehen. Dann deutete er mit dem Kinn auf Neylah.
Fayori verstand und folgte der unausgesprochenen Aufforderung. Nachdem sie die Kleine aufgehoben hatte, nahm Sedan sich seine Kutte ab und hängte sie ihr um die Schultern, sodass sie das Kind darunter verbergen konnte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er unter dem Mantel eine schwarze Lederuniform trug, die ihrer eigenen Kleidung vom Material sehr ähnlich war. Der Schnitt erinnerte sie allerdings eher an die Rüstung, welche die Leibgarde der Fürstin trug.
Von Estaria wusste sie, dass Mitzum kein Mensch mehr, sondern ein Seelenloser war, und dass er und Sedan sich den Anhängern der neuen Königin Elesztrahs angeschlossen hatten.
Bis jetzt hatte Fayori sich gewünscht, die Prinzessin würde sich irren, was Sedan betraf. Doch so wie er nun vor ihr stand, zerstörte es jeden Funken Hoffnung, dass sie noch immer auf derselben Seite standen.
Der Seelenlose wartete noch einen Moment ab, um sicherzugehen, dass niemand Notiz von ihnen genommen hatte. Dann bedeutete er ihr, ihn zu begleiten.
Nur zögerlich setzte sie sich in Bewegung. Sie würde ihm kein Stück weit vertrauen – das stand für Fayori fest. Früher wäre sie ihm blindlings überallhin gefolgt. Jetzt aber beobachtete sie jeden seiner Schritte ganz genau und achtete stets darauf, sich hinter ihm zu halten, während sie ihm nachlief.
Er selbst hatte ihr beigebracht, dem Feind niemals den Rücken zuzuwenden. Und als einen solchen musste sie ihn betrachten: als Feind, auch wenn er sie scheinbar von den Angreifern wegführte.
Mit Neylah auf dem Arm schlich sie ihm hinterher durch die engsten Gassen Frostwalls, bis er schließlich in eines der Gebäude hineinschlüpfte. Erst als er die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, erkannte die junge Elfe, dass es Yokumos Haus war.