: Franz Hohler, Klaus Siblewski
: Das Jahr, das bis heute andauert Ein Gespräch mit Klaus Siblewski
: Kampa Verlag
: 9783311703969
: 1
: CHF 17.10
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eigentlich wollte Franz Hohler nur ein Jahr lang ausprobieren, ob seine Kunst Anklang findet. Entstanden ist ein ganzes Lebenswerk. Seit dem ersten Bühnenerfolg 1965 hat er nicht mehr aufgehört, seine eigenen Ideen zu verwirklichen: als Liedermacher und Kabarettist ebenso wie als Autor von Kinderbüchern, Theaterstücken, Romanen, Erzählungen und Gedichten. Nun blickt Hohler zurück. Im Gespräch mit Klaus Siblewski gewährt er überraschende Einblicke in sein Schaffen, nimmt seine Leserinnen und Leser mit an die Orte und in die Geschichten, in denen er daheim ist. Er erzählt, wie seine Neugier ihm das Leben rettete, wieso General Guisan einst ein Rivale war und weshalb er sich für einen Performance-Künstler avant la lettre hält. Und er erklärt, wie die Tschipo-Kinderbücher, das »bärndütsche Gschichtli« und seine Romane entstanden sind. Von erlebten und erfundenen Geschichten handelt dieser Band, der Hohler als fabulierenden Menschenfreund voller Witz und feinsinnigem Humor zeigt.

Klaus Siblewski, geboren 1950 in Frankfurt am Main, lebt heute in Holzkirchen bei München. Er ist Verlagslektor, Autor und Professor am Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft an der Universität Hildesheim. Wenn er selbst am Schreibtisch sitzt, braucht er unbedingt frischen, sorgfältig zubereiteten Tee (der nie getrunken und regelmäßig weggegossen wird), viele Bleistifte, wovon keiner dem anderen gleichen darf (außer den kleinen IKEA-Bleistiften), und an den Füßen feste solide Schuhe (als müsste er zu jeder Zeit das Haus verlassen können). 2005 hat er die Deutsche Lektorenkonferenz gegründet und bis 2015 geleitet. Er hat u.a. die Werke von Ernst Jandl, Peter Härtling und Peter Turrini herausgegeben. Zuletzt sind von ihm erschienen: Die diskreten Kritiker. Was Lektoren tun (2005) und die Bände Wie Romane entstehen (2008, gemeinsam mit Hanns-Josef Ortheil), Wie Gedichte entstehen (2009, gemeinsam mit Norbert Hummelt), Wie Dramen entstehen (2012, gemeinsam mit John von Düffel) und Der Gelegenheitskritiker (2017).

»An Scheitern habe ich nicht gedacht«


Herkommen


Lass uns mit deiner Familie beginnen, mit deinem Vater, der Mutter. Wer waren sie?

Mein Vater war Lehrer, meine Mutter war Lehrerin. Sie haben sich im Solothurner Lehrerseminar kennengelernt. Es muss die große Liebe gewesen sein. Beim Aufräumen nach dem Tod der beiden habe ich ihre Liebesbriefe gefunden. Die habe ich aber schnell wieder weggelegt. Ich kam mir wie ein Voyeur vor, selbst bei flüchtigem Lesen.

Diese Briefe haben die Eltern sich wann geschrieben?

Nach dem Lehrerseminar, in dem sie sich kennengelernt hatten. Dann beendeten sie ihre Ausbildung als frischgebackene Lehrkräfte, verließen das Seminar und waren an verschiedenen Orten tätig. Meine Mutter war auf dem Brunnersberg, sie hatte dort eine Stelle gefunden. Mein Vater hatte keine feste Stelle.

Wurden Lehrpersonen damals nicht gebraucht?

Doch, aber es war eine schwierige Zeit, die Jahre um1935, das war die Zeit der Arbeitslosigkeit. Mein Vater bewarb sich für ein Stipendium, erhielt es und konnte mit dem Geld für ein halbes Jahr nach Paris gehen. Die Hälfte des Stipendiums musste er zurückzahlen. Er hatte es von der Firma Bally in Schönenwerd erhalten, dort, wo er aufgewachsen war. Bally war der König in diesem Dorf. Das ganze Dorf Schönenwerd hatte bei Bally gearbeitet, schon der Vater meines Vaters war Webermeister in der Bandfabrik Bally gewesen.

Und in dieser Zeit schrieben sich deine Eltern also Liebesbriefe?

Ja, aber weniger Briefe, vor allem viele Postkarten. Das war billiger, und geschrieben haben sie diese Postkarten meistens in Stenografie, damit der Postbote sie nicht lesen konnte  wie sie annahmen. Da ich der Stenografie mächtig bin, konnte ich sie lesen, habe aber dieses Lesen nicht lange durchgehalten.

Dein Vater kam aus Paris zurück, und die Zeit des getrennten Lebens deiner Eltern endete, richtig?

Ja. Mein Vater bekam eine Stelle in Seewen im Kanton Solothurn. Meine Eltern zogen dorthin, der Krieg war damals schon ausgebrochen. Mein Vater musste dann ins Militär. Er wurde eingezogen, später jedoch als andere Soldaten. Er war wegen einer Krankheit zuerst für dienstuntauglich erklärt worden, wurde dann doch eingezogen und erhielt eine schnelle Ausbildung bei den Flak-Soldaten. Während Vaters Zeit beim Militär hat meine Mutter für ihn seine Lehrerstelle in Seewen übernommen  als seine Stellvertreterin. Sie haben beide gerne und engagiert unterrichtet.

Du bist aber in Olten und nicht in Seewen groß geworden.

Das stimmt nicht ganz. Erst nach dem Krieg fand mein Vater eine Stelle in Olten. Ich habe von1943, bis ich vier Jahre alt war, in Seewen gelebt, erst danach in Olten. Aber wirklich groß geworden bin ich in Olten.

Wie war Olten damals?

Olten war eine Kleinstadt und ist es heute noch, aber eine Kleinstadt mit Theater, Kino, einem Orchester  wenn auch einem Laienorchester. Es gab eine Dramatische Gesellschaft in Olten. Und was wichtig für mich war: Ich kam mit urbaner Kultur in Berührung.

Kam Kultur auch in deinem Elternhaus vor, oder gab es das nur in der Stadt?

Mein Elternhaus war für mich immer ein Ort, in dem Kultur gelebt wurde. Mein Vater war aktives Mitglied der Dramatischen Gesellschaft und spielte viele Jahre lang Theater. Er war auch jahrzehntelang Redaktor der Theaterzeitung. Darin hat er über Gastspiele am Oltner Theater geschrieben, die ursprünglich im Städtebundtheater Solothurn-Biel oder in den Stadttheatern von Bern oder Basel gezeigt wurden. Die Bürgergemeinde gab zu all diesen Aufführungen ein Heft heraus, in dem die Stücke beschrieben wurden. Auch zu den Konzerten des Stadtorchesters oder der Orchester, die nach Olten eingeladen wurden, entstand jeweils ein Heft. Für diese Hefte schrieb und redigierte er. Er war in einem Sinne aktiv, wie das frühere Lehrergenerationen waren. Dazu gehörte auch, dass er sich beispielsweise in der »Liga gegen Tuberkulose« engagierte. Es gab damals noch mehr Lungenerkrankungen als heute, und mein Vater war eine Zeit lang Präsident dieser Liga. Einige Jahre präsidierte er auch die christkatholische Kirchgemeinde in Olten.

Bisher hast du hauptsächlich von deinem Vater gesprochen. Wie hast du deine Mutter erlebt?

Meine Mutter hat sehr gut Geige gespielt. Sie war Mitglied des Stadtorchesters in Olten und spielte jahrzehntelang in diesem Orchester. Ich habe als Gymnasiast auch in diesem Orchester gespielt. Sie war genauso