: Dieter Wellershoff
: Der Himmel ist kein Ort Roman
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462300598
: 1
: CHF 10.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 304
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Summe seines Erzählens: der neue Roman von Dieter Wellershoff Nach seinem hochgelobten Bestseller Der Liebeswunsch und dem berührenden Erzählungsband Das normale Leben erweist sich der 83-jährige Dieter Wellershoff erneut als Meister der subtilen Einfühlung und der insistierenden Infragestellung von Üblichkeiten und Gewissheiten. Der Roman beginnt wie ein Krimi und entwickelt sich zu einem figurenreichen Gesellschaftsdrama. Hauptfigur ist ein junger Landpfarrer, der eines Nachts zu einem Unfallort gerufen wird. Ein Auto ist von der Straße abgekommen und in einen See gestürzt. Der Fahrer hat sich gerettet, seine Frau und sein Sohn werden leblos geborgen. Wie das geschehen konnte, ist unklar. Schon bald nimmt das angebliche Unglück unheimliche Züge an. Der Pfarrer hält trotzdem an der Unschuldsvermutung fest und bringt fast alle Gemeindemitglieder gegen sich auf. Das ist der Ausgangspunkt einer sich ausweitenden Sinnkrise. Die Erfahrung einer abgründigen Vieldeutigkeit greift auf immer neue Lebensbereiche über. Sie erfasst die religiösen Glaubensvorstellungen ebenso wie die Freundschaftsverhältnisse und die sich über unerwartete suggestive Briefe anbahnende Beziehung zu einer Frau, die dem Pfarrer in diesen Tagen wachsender Bedürftigkeit als unklare Verheißung erscheint. Dieter Wellershoff erzählt mit ausgeprägtem Gespür für Stimmungen und Gefühle, wie ein Mann, der in der Gewissheit einer sinnstiftenden Ordnung gelebt hat, an Grenzen gerät - seine eigenen und die einer Institution, deren Anspruch es ist, Orientierung zu bieten und Halt zu gewähren. Die szenische Spannung eines sich verselbständigenden Prozesses, die Stimmenvielfalt der darin verstrickten Figuren und die subtile Einfühlung in einen Menschen, der allmählich erkennen muss, dass er auf brüchigem Boden steht und damit zurechtkommen muss, machen diesen Roman zu einem außergewöhnlichen Leseerlebnis.

Dieter Wellershoff, geboren am 3. November 1925 in Neuss, starb am 15. Juni 2018 in Köln. Er schrieb Romane, Novellen, Erzählungen, Essays und autobiographische Bücher, z.B. »Der Ernstfall«, 1995, über seine Erfahrungen im 2. Weltkrieg. Wellershoff hielt poetologische Vorlesungen an in- und ausländischen Universitäten, zuletzt in Frankfurt a.M. Er erhielt u.a. den Hörspielpreis der Kriegsblinden, den Heinrich-Böll-Preis, den Hölderlin-Preis, den Joseph-Breitbach-Preis und den Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik. Übersetzungen erschienen in bisher 15 Sprachen. Das Werk von Dieter Wellershoff ist bei Kiepenheuer& Witsch erschienen.

II


OBWOHL ER ALS PFARRER durch seine häufigen Krankenbesuche im Kreiskrankenhaus gut bekannt war, konnte er am frühen Sonntagvormittag keine Auskunft bekommen, wie es um die Unfallopfer stand. Kurz bevor er zum Gottesdienst aufbrechen musste, versuchte er es ein zweites Mal und wurde mehrfach weiterverbunden. Keiner der ihm bekannten Ärzte schien im Haus zu sein. Er geriet an eine Krankenschwester von der Intensivstation, die ihn kannte, aber zögerte, seine Fragen zu beantworten. Schließlich sagte sie, wie sie gehört habe, sei die Frau vergangene Nacht tot eingeliefert worden. Über den Zustand des Jungen wollte sie sich nicht äußern. Es war ihr aber anzumerken, dass die Dinge nicht gut standen. Über Karbe wusste sie nichts, denn sie hatte keinen Nachtdienst gehabt. Falls er die Nacht im Krankenhaus verbracht habe, sei er jetzt wahrscheinlich nach Hause gefahren. Sie bot ihm an, ihn mit der Aufnahme zu verbinden, wo man ihm Genaueres sagen könne. Sie schien in Eile zu sein oder tat nur so, um sich weiteren Fragen zu entziehen.

In der Aufnahme erfuhr er, dass Karbe vor etwa zwei Stunden das Krankenhaus verlassen hatte. Die junge Frau, mit der er redete, gab ihm auch die Adresse. Karbe wohnte im Nachbarort Imhoven, der zu seiner Gemeinde gehörte. In der Kirche hatte er ihn allerdings noch nie gesehen. Es war jetzt zu spät, ihn noch anzurufen, um einen Besuchstermin mit ihm zu verabreden. Karbe war sicher noch verstört. Vermutlich auch ein verschlossener, misstrauischer Mensch, der so schnell niemanden an sich heranließ. Gerade deshalb durfte er ihn jetzt nicht allein lassen.

Die Glocken begannen zu läuten, für ihn das Zeichen, sich auf den Weg zu machen. Bis zur Kirche waren es kaum hundert Met