: Michaela Hansen
: In Adelskreisen - Folge 36 Der falsche Fürst
: Verlagsgruppe Lübbe GmbH& Co. KG
: 9783838757599
: In Adelskreisen
: 1
: CHF 1.60
:
: Erzählende Literatur
: German
: 64
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Kritisch betrachtet sich der große schwarzhaarige Mann im Spiegel und rückt an der weinroten Krawatte, die er zu dem dunkelgrauen Anzug trägt. Jedes Detail soll stimmen, wenn er heute dem Fürsten von Reinburg gegenübertritt - seinem Halbbruder, der ihm so ähnlich sieht wie sein eigenes Spiegelbild. Doch während Thomas von Reinburg stets ein Leben in Reichtum und Luxus geführt hat und bald die Nachfolge seines Vaters antritt, gab es für Oliver, den unehelichen Sohn, in der Vergangenheit nur Kummer und Sorgen. Das soll sich endlich ändern - Ein entschlossener Ausdruck liegt in den Augen des Mannes, als er nun seinen Koffer aufnimmt und das bescheidene Haus verlässt, um in ein neues Leben zu fahren ...

Schloss Schwarzmoor hatte seinen Namen nicht von ungefähr. Das hohe bleigraue Gebäude lag auf einer kleinen Anhöhe, umgeben von einer dunklen wilden Heide- und Moorlandschaft. Wilder Efeu umrankte die Schlossmauern, und wenn der Wind durch die Blätter strich, klang es wie leises Seufzen.

An diesem Tag lag dichter Nebelüber dem Land und ließ kaum etwas vom Frühling ahnen. Nur hinter dem Schloss, im großen Park von Schwarzmoor, blühte der weiße und lachsrosa Rhododendron inüppiger Fülle, und der süße, schwere Duft des violetten Flieders lag in der Luft.

Die junge Nina Baroness von Dahren zog den grauen Regenmantelüber der Brust zusammen und ging eiligen Schrittesüber den weißen Kiesweg auf das Schloss zu. Sie hatte einen Spaziergang gemacht und sehnte sich jetzt nach einem behaglichen Kaminfeuer und einer wärmenden Tasse Tee.

Sie hielt den Kopf gesenkt. Ihr braungoldenes Haar schimmerte feucht im fallenden Nebel.

Leichtfüßig schritt Nina die wenigen Stufen zur Terrasse hinauf und wollte gerade den Salon betreten, als sie plötzlich erschrocken stehen blieb. Durch das nur halb geschlossene Fenster drangen Stimmen an ihr Ohr, und deutlich hörte sie ihren Namen.

Auf Zehenspitzen trat die junge Baroness näher. Fast berührten die grünen Efeublätter ihr Gesicht, als sie jetzt mit angehaltenem Atem lauschte. Sie erkannte, dass ihre Tante Valerie und deren Freundin, die Gräfin von Mehren, miteinander sprachen.

»Wirklich, meine Liebe«, sagte Wilhelmine Gräfin von Mehren gerade,»du bist zu streng mit Nina. Sie ist schließlich erst zwanzig Jahre und sollte nicht immer in der Einsamkeit von Schwarzmoor leben. Sie hat doch noch nie in ihrem Leben einen Ball besucht. Soll sie denn hier wie ein Mauerblümchen verkümmern?«

»Was heißt das schon?«, erklang die harte Stimme der fast siebzigjährigen Baroness von Dahren.»Ich habe in meiner Jugend auch Bälle besucht, und es ist nichts dabei herausgekommen. Diesen Firlefanz kann ich Nina ersparen. Sie ist doch sehr zufrieden hier mit ihren Büchern, den Hunden und Pferden.«

»Glaubst du, dass das alles ist, was sich ein junges Mädchen vom Leben erträumt?«, fragte die Gräfin spöttisch.»Nur weil du niemals in deinem Leben geheiratet hast, soll es Nina ebenso ergehen?«

»Ich habe dadurch nichts versäumt!«, antwortete Baroness Valerie streng.»Im Gegenteil, ich habe mir mein Leben einrichten können, wie es mir gefällt. Das kann Nina auch.«

»Nina ist ein junges Mädchen. Sie sollte heiraten und Kinder bekommen. Das ist schließlich die Bestimmung der Frau«, bemerkte die Gräfin.»Aber natürlich müsste sie erst mal Gelegenheit haben, einen Mann kennenzulernen. Doch Männer haben wohl keinen Zutritt auf Schwarzmoor.«

»Männer!«, wiederholte Baroness Valerie verächtlich.»Von ihnen kommt alles Unheil auf dieser Welt. Und dieses Unheil will ich Nina ersparen. Sie lebt jetzt schon fünf Jahre hier, seit dem Tod ihrer Eltern, und wir haben uns aneinander gewöhnt. Ich denke nicht daran, mein Leben zuändern, nur weil meine Nichte heiraten soll.«

»Du willst eine alte Jungfer aus ihr machen«, erklärte Gräfin Wilhelmine,»und ich binüberzeugt, dass dir das mit der Zeit auch gelingt. Nina hat schon jetzt etwas Altjüngferliches an sich, trotz ihrer Jugend. Sie ist unvorteilhaft gekleidet und frisiert sich, als hätte sie die Fünfzig schonüberschritten. Wenn sie anmutig sein sollte, so spürt man nichts davon in ihrer derben Kleidung und den festen Sportschuhen. Irgendwie erinnert sie mich schon jetzt an eine pensionierte Lehrerin.«

»Na und?«, bemerkte Ninas Tante.»Es gefällt ihr eben so.«

»Das glaube ich nicht!«, erwiderte die Gräfin.»Du hast dafür gesorgt, dass sie so geworden ist. Ich meine, es wird Zeit, dass sich dasändert. Nina könnte eine schöne junge Dame sein. Sie hat ein Gesicht, das wohl kein Mann vergessen kann. Aber so, wie sie jetzt auftritt …« Die Gräfin schwieg und seufzte leicht.

»Es ist nur gut, dass meine Nichte deine Worte nicht gehört hat«, sagte die alte Baroness, die von allen Dienstboten aus Höflichkeit mit Baronin angesprochen wurde.»Nina könnte sich sonst noch Flausen in den Kopf setzen, und das will ich nicht.«

»Du willst sie also von allen schönen Dingen des Lebens fernhalten, wenn ich dich richtig verstehe«, meinte die Gräfin zynisch.»Ich habe bisher nie gewusst, wie kaltherzig und egoistisch du bist, Valerie. Kannst du dir nicht vorstellen, dass sich ein junges Mädchen nach Liebe sehnt, nach der Liebe eines Mannes?«

»Du magst es so sehen, meine Liebe«, entgegnete Baroness Valerie,»du warst ja schon früher sehr romantisch. Aber ich habe andere Vorstellungen. Nach meinem Tod soll Nina Schloss Schwarzmoor verwalten. Sie wird sehr reich sein, und ich w&u