: Alberto Manguel
: Fabelhafte Wesen Dracula, Alice, Superman und andere literarische Freunde
: Diogenes
: 9783257613087
: 1
: CHF 28.00
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: Geschenkbücher
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ob Sindbad der Seefahrer, Superman, Don Juan oder Alice im Wunderland: Literarische Heldinnen und Helden haben zahlreiche Abenteuer zu bestehen, die sie klug und welterfahren machen. Sie werden damit zu inspirierenden Begleiter:innen, die uns immer wieder neue Antworten geben auf die großen Fragen des Lebens. Dank Alberto Manguel entdecken wir die Weltliteratur neu.

Alberto Manguel, 1948 in Buenos Aires geboren, wuchs in Israel und Argentinien auf und ist kanadischer Staatsbürger. Als polyglotter Kosmopolit hat er als Kritiker, Lektor und Übersetzer gearbeitet. Er ist Schriftsteller und leidenschaftlicher Büchersammler und -leser. Sein in alle Weltsprachen übersetztes Buch ?Eine Geschichte des Lesens? wurde 1998 mit dem Prix Médicis ausgezeichnet. Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen erhielt Alberto Manguel 2008 den Mainzer Gutenberg-Preis. In Lissabon wird in einem Palast in der Altstadt seine legendäre Bibliothek zugänglich sowie ein Studienzentrum für die Geschichte des Lesens eingerichtet.

»Was ist – denn – das?«, sagte das Einhorn schließlich.

»Ein Kind!,« erwiderte Hasa eifrig und trat dabei vor Alice hin, um sie vorzuführen, wobei er beide Hände in einer germanischen Urstellung gegen sie ausstreckte. »Erst heute gefunden! In natürlicher Größe, und zweimal so echt!«

»Ich dachte immer, das seien Fabelwesen!«, sagte das Einhorn. »Lebt es noch?«

»Es kann noch sprechen«, sagte Hasa ernst.

Das Einhorn sah Alice träumerisch an und sagte: »Sprich, Kind!«

Da musste Alice nun doch unwillkürlich lächeln, und sie sagte: »Also weißt du, ich dachte immer, Einhörner seien Fabelwesen! Ich habe noch nie eins lebendig gesehen.«

»Na, jedenfalls haben wir uns jetzt gesehen«, sagte das Einhorn, »und wenn du an mich glaubst, glaube ich auch an dich. Einverstanden?«

Lewis Carroll,Alice hinter den Spiegeln

Touristenführer bieten Touren auf den Spuren von Odysseus und Don Quijote an. Von so manchen zerfallenem Gemäuer heißt es, es habe dereinst Desdemonas Schlafzimmer oder Julias Balkon beherbergt. Ein kolumbianisches Dorf behauptet, es sei höchstpersönlich das Macondo des Aureliano Buendía ausHundert Jahre Einsamkeit, und das kleine Eiland Juan Fernández rühmt sich gar, dereinst jenen ungewöhnlichen Kolonisator namens Robinson Crusoe aufgenommen zu haben. Die Britische Post hatte Jahr um Jahr mit Wagenladungen von Briefen zu kämpfen, die an einen gewissen Sherlock Holmes, Esq., in221B Baker Street verschickt wurden, während gleichzeitig ein gewisser Charles Dickens einen nicht enden wollenden Strom an Beschwerdebriefen zugestellt bekam, in denen sich seine Leser bitterlich über den Tod der kleinen Nelly inDer Raritätenladen beklagten. Die Wissenschaft erklärt uns, dass wir von Geschöpfen aus Fleisch und Blut abstammen, doch insgeheim wissen wir, dass wir Söhne und Töchter von Phantasmen aus Papier und Tinte sind. Vor langer Zeit schrieb der spanische Dichter Luis de Góngora:

Mit seinen Traumgestalten

auf seiner luft’gen Bühne

zeigt der Traum

Schatten von schönem Wuchs

Der Ausdruck »Fiktion« stammt, etymologischen Wörterbüchern zufolge, von lateinisch »fingere« ab, was so viel wie »kneten« oder »aus Ton formen« bedeutet. Die Fiktion ist so etwas wie ein aus Worten statt aus Staub nach unserem Abbild geformter Adam, dem sein Schöpfer Leben einhaucht. Ja, erfundene Figuren sind oft sogar – wenn sie nur gut genug erträumt sind – wandelbarer als unsere Freunde aus Fleisch und Blut. Anstatt sich brav an den Ablauf der Handlung zu halten, ändern sie bei jeder neuen Lektüre ein wenig ihre Gestalt, lassen bestimmte Szenen heller erstrahlen und andere in den Hintergrund treten. Plötzlich kommt eine überraschende Episode zutage, die wi