So groß war der Lärm am Tag, daß ich bei Nacht oft wach dalag und der Stille lauschte. Endlich schlief ich, von Lautlosigkeit erfüllt, zufrieden ein, doch solange ich wach war, genoß ich es, die Dunkelheit zu erleben, die Gedanken und Erinnerungen, die süßen Vorfreuden. Ich konnte die Stille hören. Schon damals, zu Beginn der fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts, war mir die Schlaflosigkeit zur Gewohnheit geworden. Schlaflosigkeit ist nichts Schlechtes an sich. Man kann in der Nacht wach liegen und denken; die Qualität der Schlaflosigkeit hängt ganz davon ab, woran man zu denken beschließt. Kann man Denken beschließen? Ja, man kann. Meist kann man sein Denken richten, worauf man will. Man setzt sich etwa friedlich vor den dunklen Fernseher und schaut sich einfach gar nichts an; und früher oder später macht man sich sein eigenes Programm, viel besser als die Massenproduktionen. Das macht Spaß, Sie sollten es versuchen. Sie können sich dann auf die Mattscheibe holen, wen Sie wollen, allein oder in Gesellschaft, ihn sagen und tun lassen, was Sie möchten, und selbst mitten dazwischen sein, wenn es Ihnen so lieber ist.
Bei Nacht lag ich wach und betrachtete die Dunkelheit, lauschte der Stille, malte mir die Zukunft aus, pflückte mir aus der Vergangenheit die Stückchen heraus, die ich übersehen hatte, jene verschmähten Ereignisse, die jetzt in den Vordergrund traten, groß und wichtig, so daß die Schwere des Schicksals nicht mehr auf den derzeitigen Problemen meines Lebens lastete, worin sie auch immer bestanden (denn wer lebt schon alle Tage ohne Probleme? Warum die Nächte auf sie verschwenden?).
Oft ist es ein weiter Weg von Kensington und den frühen Fünfzigern, diesem Schauplatz meiner Wachträume. Doch selbst wenn ich jetzt nach London, nach Kensington, zurückkehre und das Taxi bezahlt habe und von den Menschen, die dort warten, begrüßt worden bin und Freunde angerufen und die Post geöffnet habe, finde ich in dieser Nacht wieder meine Stunden süßer Schlaflosigkeit und weiß, daß es ein weiter Weg von jenem Kensington der Vergangenheit ist, jener Old Brompton Road, jener Brompton Road, jenem Brompton Oratory; ein weiter Weg. Meine Nachtgedanken verweilen oft bei jenen Nachtgedanken der Vergangenheit, wie ja auch mein damaliger Alltag eine Beziehung zu meinem Tun von heute hat.
Es war1954. Ich wohnte möbliert in einem hohen Haus in South Kensington. Vor ein paar Jahren erschrak ich einmal, als ein Freund von »dieser Pension unweit derU-Bahn-Station South Kensington, wo du früher gewohnt hast« sprach. Milly, die Hausbesitzerin, hätte die Bezeichnung »Pension« empört zurückgewiesen, aber es wird wohl doch eine gewesen sein.
Milly war sechzig Jahre alt und Witwe. Jetzt ist sie schon weit über neunzig und immer noch die alte Milly.
Das Haus war eine Doppelhaushälfte, und nur ein Meter trennte die freistehende Seite vom Nachbarhaus. Es standen