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Null
12. Mai
An ihrem letzten Abend als Warmblut war Phoebe eine brave Tochter. Freyja hatte auf einem Dinner bestanden, also gab es ein Dinner.
»Wir sollten keinen großen Wirbel um die Sache machen«, hatte Phoebe zunächst protestiert, so als würde sie nur ein paar Tage in Urlaub fahren, denn sie hatte gehofft, dass es bei einer kurzen Verabschiedung in dem Hotel, in dem ihre Familie sich einquartiert hatte, bleiben würde.
»Kommt gar nicht in Frage.« Freyja hatte die lange Nase gerümpft. »Ein de Clermont schleicht sich nicht heimlich aus dem Haus – bis auf Matthew natürlich. Wir werden das anständig machen. Das gehört sich so.«
Das Abschiedsessen, das Freyja dann für Phoebe und ihre Eltern veranstaltete, war schlicht, elegant und perfekt – das schloss auch das Wetter ein (es war ein makelloser Maiabend), die Musik (konnte eigentlich jeder Vampir in Paris Cello spielen?), die Blumen (mit den Mme-Hardy-Rosen aus dem Garten hätte man die ganze Stadt parfümieren können) und den Champagner (Freyja schwor auf Cristal).
Phoebes Vater, Mutter und Schwester erschienen wie erbeten um halb neun. Ihr Vater war in Abendgarderobe; ihre Mutter trug eine Lehenga Choli in Türkis und Gold; Stella war von Kopf bis Fuß in Chanel gehüllt. Phoebe trug Schwarz, dazu die Smaragdohrringe, die Marcus ihr vor seiner Abreise aus Paris geschenkt hatte, und turmhohe Highheels, die ihr – und Marcus – besonders gut gefielen.
Die versammelte Gruppe von Warmblütern und Vampiren nahm erst einen Aperitif im Garten hinter Freyjas luxuriösem Haus im 8. Arrondissement – einem privaten Paradies, wie man seit über einem Jahrhundert im beengten Paris keins mehr geschaffen hatte. Die Taylors waren eine prunkvolle Umgebung gewohnt – Phoebes Vater war im diplomatischen Dienst, und ihre Mutter entstammte einer indischen Familie, die seit den Zeiten Britisch-Indiens immer wieder in die britische Diplomatie eingeheiratet hatte –, doch der Reichtum der de Clermonts sprengte alle Dimensionen.
Sie saßen hinter bodentiefen Fenstern, die das Sommerlicht in den Raum ließen und freien Blick in den Garten boten, an einer mit Kristall und Porzellan gedeckten Tafel. Charles, der wortkarge Chefkoch, den die de Clermonts in ihren Pariser Häusern beschäftigten, wenn Warmblüter zum Essen eingeladen waren, liebte Phoebe und hatte weder Kosten noch Mühen gescheut.
»Rohe Austern sind der Beweis, dass Gott uns Vampire liebt und uns glücklich sehen will«, verkündete Freyja mit erhobenem Glas zu Beginn des Mahles. Sie verwendete, wie Phoebe auffiel, das Wort »Vampir« so oft wie möglich, so als würde das, was Phoebe vorhatte, durch die bloße Wiederholung zu etwas Gewöhnlichem. »Auf Phoebe. Glück und ein langes Leben.«
Nach diesem Trinkspruch hatte ihre Familie kaum noch Appetit. Phoebe war zwar bewusst, dass dies ihre letzte richtige Mahlzeit sein würde, trotzdem brachte sie kaum einen Bissen herunter. Weder die Austern konnten sie begeistern noch der Champagner, den es dazu gab, lustlos stocherte sie in den Köstlichkeiten herum. Freyjas reges Geplauder würzte die Hors d’Œuvres, die Suppe, den Fisch, die Ente und die Nachspeisen (»Die letzte Gelegenheit, Phoebe, Liebes!«), wobei sie, immer wieder am Wein nippend, zwischen Englisch und Hindi wechselte.
»Nein, Edward, ich glaube nicht, dass