4. Kapitel
Während ich an der Einstellung der Außenspiegel herumfummelte und dahinterzusteigen versuchte, wie mir der Navi-Bildschirm alle Tankstellen und Rastplätze auf dem Weg anzeigte, begann Lea mit Small Talk.
»Lebst du in Berlin?«
Ich nickte stolz. »Ich zähle sogar zu der Minderheit, die hier geboren ist.« Kleiner Seitenhieb darauf, dass sie (trotz ihrer zugegeben einwandfrei hochdeutschen Ausdrucksweise) garantiert zu den einundfünfzig Prozent Zugezogenen zählte.
»Ich verstehe nicht, wie man es bei euch länger als ein Wochenende aushält, ohne depressiv zu werden.«
Okay. Also eine Touristin. Noch schlimmer.
»In Berlin gibt es alles außer Berge und Meer. Ich tippe, du bist ein Mädchen von der Alm.«
»Genau«, sagte sie, und für einen Moment freute ich mich über den Treffer, bis sie nachschob: »Ich komme aus Hamburg.«
Sie bestätigte mir, dass sie den Hafen und das Wasser vermisste und wie ich nur kurz über die Feiertage in Bayern gewesen sei. Sie, weil sie ein Kunstwerk von einer Restauratorin abgeholt hatte, das sie als verspätetes Weihnachtsgeschenk für einen guten Freund in Auftrag gegeben hatte. Ich, weil es meine Eltern vor Jahren nach München verschlagen hatte, wo Lehrer (im Gegensatz zu Berlin) verbeamtet wurden und, völlig verrückte Sache, nach dem Unterricht nicht selbst das Klassenzimmer putzen mussten.
»Wo findet denn das Vorstellungsgespräch statt?«, fragte Lea, als ich gerade in die Bremse trat, um einem auf unsere Spur ausscherenden Lkw-Fahrer Platz zu machen, dem entweder infolge eines Spontanschlaganfalls das Lenkrad verrutscht war oder den es einfach nicht interessierte, dass wir ansonsten in seinen Hänger gekachelt wären.
»Mein Vorstellungsgespräch?«, wiederholte ich verwundert, dann fiel mir ein, dass sie vermutlich die Unterhaltung zwischen mir und der Mietwagen-Schmalzlocke mitgehört hatte.
»Bei einem Verlag«, sagte ich, als der Gurt mich wieder atmen ließ. »Ich habe ein Buch geschrieben.«
»Ein Buch?«
»Ja. Das ist so ein Ding mit zwei Deckeln und vielen Seiten dazwischen. Ziemlich retro.«
»Und du hast es geschrieben?«
»Genauer gesagt bin ich gerade dabei, es zu vollenden. Ich hoffe, sie wollen es wirklich veröffentlichen.«
»Handelt es von blutverschmierten Axtmördern, die nackte Frauen häuten, um mit ihren Gedärmen Springseil zu hüpfen?«
Ich hatte einige Mühe, das Bild eines seilhüpfenden Psychopathen aus meinem Kopf zu verdrängen, daher dauerte es eine Weile, bis ich antwortete: »Nein, nicht so direkt.«
»Dann dürften deine Chancen, verlegt zu werden, relativ schlecht stehen.«
»Es gibt ja wohl noch andere Bestseller außer Krimis«, wagte ich einzuwenden.
Sie nickte. »Klar. Schreib was über geschändete Jungfrauen, die sich im Mittelalter am Königshof hochbumsen.«
Das Bild war schon besser als Hannibal Lecter beim Gedärm-Gummitwist, traf aber immer noch nicht meine Vorstellungen von dem, was ich zu Papier bringen wollte.
»Auch historische Romane sind nicht mein Metier. Ich arbeite eher an einem Sachbuch.«
Jetzt hatte ich Lea immerhin so weit, dass sie mich ansah. »Du wurdest schon einmal in einem Swingerclub vergewaltigt?«
»Wie bitte?«
»Oder beleidigst du in deinem Buch fundamentalistische Religionsgemeinschaften mit expliziten Kraftausdrücken, um den Rest deines Lebens unter Personenschutz zu stehen?«
»Nein, selbstverständlich nicht.«
»Hasst du Schwule?«
»Was ist das für eine absurde Frage?«
»Oder wenigstens Ausländer?«
»Hast du sie noch alle?«
»Du findest nicht, dass Hartz-IV-Empfänger eine Armbinde tragen sollten, damit man sie in der Öffentlichkeit leichter erkennt, wenn man mal einen kostenlosen Kofferträger braucht?«
»Okay, ich verstehe das Prinzip. Aber nein, ich will mit meinem Buch keinen Skandal provozieren.«
»Tja, dann sehe ich schwarz für deinen Erfolg.«
Sie stöpselte ihre Kopfhörer ein. Anscheinend war dieser Teil unserer Unterhaltung damit für sie beendet.
»Willst du denn gar nicht wissen, wovon es handelt?«, fragte ich trotzdem.
»Was?« Sie zog einen der Stöpsel wieder heraus.
»Mein Buch. Ist es dir egal, worum es geht?«
»Ich hab dich doch gefragt.«
Ich sah ein, dass wir so nicht weiterkamen, und beschloss, für meine weitere Unterhaltung auf einen Radiosender auszuweichen. Offenbar wirkte ich angemessen beleidigt, denn sie zog wohl aus Mitleid auch den zweiten Stöpsel aus dem Ohr.
»Kannst du die die Fahrt über bitte für mich aufbewahren?«, fragte sie und drückte mir die weißen, kabellosen In-ear-Kopfhörer in die Hand, ohne meine Zustimmung abzuwarten.
»Warum?«
»Ich verlier die kleinen Murmeln ständig, und wenn es dir passiert, dann hab ich wenigstens jemanden zum Anschnauzen. Die sind nämlich echt teuer.«
Aha. Danke für die Information, dachte ich und steckte sie mir in die Innentasche meiner Jacke.
»Also schön. Worum geht es denn nun in deinem Sachbuch?«, fragte Lea, als das erledigt war.
»E