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DIE WASSER-DEKADE
Gary White
Bei jemandem wie mir würde man normalerweise nicht vermuten, dass ich einen meiner ersten Schreibtischjobs einfach gekündigt habe. Das vorweg, bevor ich davon erzähle, wie es genau dazu kam.
Als das MännermagazinEsquire 2009 eine der ersten Reportagen über Water.org brachte, beschrieb der Journalist, der Matt und mich bei unserem Besuch in Indien begleitete, den Unterschied zwischen uns anhand unserer Outfits, die auf den ersten Blick komplett identisch schienen: Wir trugen beide Button-down-Hemden und Khaki-Shorts. Der einzige Unterschied war, dass Matts Hemd locker über der Hose hing, die obersten Knöpfe nicht geschlossen, und meines ordentlich in der Hose steckte, die von einem Gürtel gehalten wurde. Aus meiner Brusttasche lugte ein Kugelschreiber hervor. »Die Wirkung ist wie Tag und Nacht«, schrieb der Journalist, »Schwarz und Weiß, Filmstar und Ingenieur.«21
Damit lag er nicht ganz falsch. Auch ohne Matt Damon an meiner Seite wirke ich oft wie ein zugeknöpfter Ingenieur.
Drama ist mir fremd. Daher war jener Wintertag 1989 umso bemerkenswerter. Ich war kurz zuvor nach Denver gezogen, um dort eine Stelle in einem Ingenieursbüro anzutreten, und sollte eine Pipeline entwerfen, die Wasser von einem Ort in Pueblo, Colorado, zu einem anderen Ort in Pueblo, Colorado, transportierte. Keine besonders öffentlichkeitswirksame Arbeit, aber auf ihre Art doch wichtig.
Als ich nach anderthalb Wochen von meinem Schreibtisch aufstand, das Büro verließ und auf die Straße trat, war das kein Zeichen von Protest. Es fühlte sich nicht einmal nach einer bewussten Entscheidung an. Ich war einfach rastlos. Kein Bewegungsdrang nach langem Sitzen, sondern Rastlosigkeit in einem existenziellen Sinne. Ich musste mich bewegen, damit mein Denken Raum bekam.
Ein paar Monate zuvor war ich im Hochland von Guatemala als technischer Experte für dieUS-amerikanische Caritas, die HilfsorganisationCRS (Catholic Relief Services), unterwegs gewesen. Ich hatte Projekte begutachtet, die derCRS in Lateinamerika und der Karibik unterstützte. Für meine Anerkennung als Ingenieur wurde die Station allerdings nicht angerechnet. Dafür brauchte ich ein weiteres Jahr, in dem ich offiziell als Ingenieur Berufspraxis sammeln konnte, deshalb der Job in Denver.
Die meisten Projekte, die ich beimCRS betreut hatte, hatten mit Wasser zu tun gehabt. In den Dörfern hatte ich Frauen getroffen, deren ganzes Leben – jede Minute jedes Tages – vom fehlenden Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen beeinflusst war. Vom Aufwachen (oft um vier Uhr morgens, um sich auf dem Feld zu erleichtern, solange es noch dunkel und dadurch etwas geschützter war) über viele Stunden am Tag, die sie mit Wasserholen verbrachten, bis zur Nacht, wenn sie verschwitzt und staubig schlafen gingen, weil das Wasser nur zum Waschen der Kinder reichte.
Was für ein Kontrast zu meinem neuen Job! Die meisten Menschen in Pueblo, Colorado, verschwendeten nie auch nur einen Gedanken an Wasser, und ich sollte dafür sorgen, dass das so blieb, indem ich sicherstellte, dass die Fäkalien in den Kloschüsseln auf Knopfdruck weggespült wurden und jederzeit Wasser durch Hähne, Duschen und Leitungen floss. Das war eine ehrenwerte Aufgabe. Aber für mich fühlte es sich an, als würde ich im Garten herumwerkeln, während nebenan das Haus der Nachbarn brannte.
Unbewusst lief ich drauflos, kilometerweit. Ohne darauf zu achten, wohin ich ging, war ich irgendwie bei der Kirche meiner Gemeinde gelandet. Ich trat ein, um mich einen Moment hinzusetzen. Die Kirche war menschenleer. Ich nahm in einer der Bankreihen Platz und überlegte, ob ich meinen Job kündigen sollte oder nicht.
Die Kirche war noch relativ neu für mich