1. Kapitel
Lily zog sich den Hut tiefer in die Stirn, um ihre Augen vor der gleißenden griechischen Sonne zu schützen, und nahm einen großen Schluck aus der Wasserflasche. Sie setzte sich auf den ausgedörrten Boden und sah ihrer Freundin zu, wie diese vorsichtig mit dem Pinsel Sand und Staub von einer Tonscheibe entfernte. »Solltest du jemals hören, dass ich das Wort ›Liebe‹ noch einmal in den Mund nehme, kannst du mich hier irgendwo an der Ausgrabungsstätte beerdigen und nie wieder ausbuddeln.«
»Gleich hier drunter liegt eine Grabkammer. Ich könnte dich hineinstoßen, wenn du möchtest.«
»Gute Idee. Und als Inschrift hätte ich gerne: ›Hier liegt Lily, die ihr Leben der Erforschung des Ursprungs der Menschheit widmete, aber Männer nie verstanden hat‹.« Sie ließ den Blick über die Ruinen des antiken Aptera schweifen und sah aufs Meer hinaus. Sie saßen hier hoch auf einem Plateau, hinter ihnen ragten die Weißen Berge von Kreta in den Himmel, unter ihnen glitzerte das Kretische Meer. Normalerweise hellte die Schönheit des Panoramas ihre Laune immer auf, heute jedoch nicht.
Brittany wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. »Hör auf, dich zu geißeln. Der Typ ist ein verlogener Bastard.« Sie griff nach ihrem Rucksack und sah zu der Gruppe Männer hinüber, die ein Stück entfernt stand und in ein Gespräch vertieft war. »Zum Glück fliegt er ja morgen wieder nach London zu seiner Ehefrau zurück. Die kann einem wirklich leidtun.«
Lily schlug die Hände vors Gesicht. »Sprich das Wort ›Ehefrau‹ nicht aus. Ich bin ein schrecklicher Mensch.«
»He!« Brittanys Stimme wurde scharf. »Er hat dir gesagt, er wäre Single. Er hat gelogen, das heißt, die Verantwortung liegt allein bei ihm. Ab morgen brauchst du ihn nie wieder zu sehen … und ich muss mich nicht mehr zusammenreißen, um ihm nicht an die Gurgel zu gehen.«
»Was, wenn sie es herausfindet und sich scheiden lässt?«
»Dann hat sie vielleicht noch eine Chance auf ein erfülltes Leben mit jemandem, der sie respektiert. Vergiss es, Lily.«
Wie sollte sie es vergessen, wenn alles in ihrem Kopf durcheinanderwirbelte?
Hatte sie die Zeichen übersehen? Hatte sie die falschen Fragen gestellt? War sie so verzweifelt, dass sie selbst den Wink mit dem Zaunpfahl ignorierte?
»Ich hatte schon für die Zukunft geplant. Im August wollten wir alle griechischen Inseln besuchen. Das war natürlich, bevor er versehentlich statt der Kreditkarte das Familienfoto aus seiner Brieftasche gezogen hat. Drei süße kleine Kinder, die sich um Daddys Beine winden wie Ranken. Oh, ich ertrage es nicht! Wie habe ich mich so irren können? Diese Grenze überschreite ich nie. Die Familie ist heilig! Familie ist wichtiger als alles Geld der Welt!« Sie musste daran denken, dass sie beides nicht hatte. »Ich weiß nicht, was schlimmer ist – dass er offensichtlich keine Vorstellung hat, wer ich bin, oder dass er alle Fragepunkte auf meiner Liste bestanden hat.«
»Du hast eine Liste?«
Lily schoss das Blut in die Wangen. »Objektive Fragen, die helfen, zu einer objektiven Bewertung zu kommen. Wenn man eine solche Sehnsucht nach Wurzeln und Familie hat wie ich, öffnet das Tür und Tor für Fehlschlüsse. Also habe ich Schutzmechanismen eingebaut. Ich weiß, welche grundlegenden Eigenschaften ich bei einem Mann brauche, um glücklich sein zu können, und ich verabrede mich