PROLOG
Flinders Island, Australien 1840
Als die Regenzeit begann, versteckte sich Mathinna schon seit beinahe zwei Tagen im Busch. Auch wenn sie erst acht war und in ihrem Leben noch nicht viel gelernt hatte – wie man sich versteckte, das wusste sie. Seit sie laufen konnte, erkundete sie jeden Winkel und jede Felsspalte von Wybalenna, der abgelegenen Region von Flinders Island, in die ihr Volk wenige Jahre vor ihrer Geburt verbannt worden war. Hoch oben rannte sie am Kamm der Granitfelsen entlang, grub am Strand in den weißen Dünen Tunnel, spielte im Gebüsch Verstecken. Sie kannte alle Tiere: Possums, Wallabys und Kängurus, Filander, die im Wald lebten und nur nachts herauskamen, Robben, die sich auf den Felsen rekelten und von Zeit zu Zeit in die Brandung rollten, um sich abzukühlen.
Vor drei Tagen waren Gouverneur John Franklin und seine Frau, Lady Jane, mit dem Schiff in Wybalenna angekommen. Ihr Wohnsitz auf der Insel Lutruwita – oder Van-Diemens-Land, wie die Weißen es nannten – lag mehr als zweihundertfünfzig Meilen entfernt. Mathinna hatte mit den anderen Kindern auf dem Berg gestanden, während der Gouverneur und seine Frau, begleitet von sechs Bediensteten, vom Strand zu ihnen heraufstiegen. Lady Jane in ihren glänzenden Satinschuhen tat sich schwer; immer wieder rutschte sie auf den Steinen aus. Sie musste sich am Arm ihres Mannes festklammern, während sie mit einem so säuerlichen Gesicht vorantaumelte, als hätte sie in eine Artischocke gebissen. Die Falten an ihrem Hals erinnerten Mathinna an die federlosen rosa Lappen am Hals des Roten Honigfressers.
Am Abend zuvor hatten die Stammesältesten der Palawa ums Feuer gesessen und über den bevorstehenden Besuch diskutiert. Die christlichen Missionare waren seit Tagen mit den Vorbereitungen beschäftigt gewesen. Den Kindern hatte man einen Tanz beigebracht. Mathinna saß im Dunkeln am äußeren Rand des Kreises, wie sie es oft tat, und hörte den Alten zu, die am Feuer Sturmtaucher rupften und in der glühenden Asche Muscheln brieten. Die Franklins, da war man sich im Großen und Ganzen einig, waren impulsive, törichte Menschen; es gab zahlreiche Geschichten, die ihr merkwürdiges und exzentrisches Verhalten bewiesen. Lady Franklin zum Beispiel hatte furchtbare Angst vor Schlangen. Einmal war sie auf die Idee gekommen, für jede getötete Schlange einen Schilling zu bezahlen, und das hatte sich natürlich zu einem einträglichen Geschäft für Züchter entwickelt und sie und Sir John ein kleines Vermögen gekostet. Im letzten Jahr hatten die beiden Flinders besucht, um sich Schädel von Eingeborenen für ihre Sammlung zu besorgen – Schädel, für die man Leichen enthauptet und die man ausgekocht hatte, um das Fleisch zu entfernen.
Der Engländer mit dem Pferdegesicht, der für die Siedlung auf Flinders zuständig war, George Robinson, wohnte mit seiner Frau in einem der acht Backsteinhäuser, die im Halbkreis standen und außer den Zimmern für seine Männer auch eine Krankenstation und e