Zwei
Die vierzigminütige Fahrt in unserem Mietwagen vom Nashville International Airport nach Fairview ist mir jetzt sehr vertraut. Der Übergang vom chaotischen Verkehr in Nashville zu den ruhigen Landstraßen, die zum Harding Estate führen, ist wie ein Highway zwischen zwei vollkommen verschiedenen Welten – die beiden trennen bloß fünfunddreißig Meilen, die sich jedoch wie eine Million anfühlen.
Als die hohen Mauern der Familienranch auftauchen, kribbelt in mir alles vor Freude. Die Sonne glüht am meerblauen Himmel, und kaum nähern wir uns dem elektrischen Tor, löse ich automatisch meinen Sitzgurt und greife nach der Autotür, bereit, meinen Sommer zu beginnen. Je mehr Zeit ich hier in meiner kleinen Heimatstadt verbringe, desto besser fühlt es sich jedes Mal an herzukommen.
»Na los, Mila, klingle mal«, fordert Dad mich auf, als er den Wagen anhält.
Das muss er mir nicht zweimal sagen. Ich stoße die Tür auf, springe hinaus und genieße die feuchte Tennessee-Hitze, atme den Geruch von frischem Heu und gemähtem Gras ein. Alle Gerüche hier draußen sind so natürlich, so anheimelnd, was an sich schon verrückt ist, bedenkt man, dass ich mir wie eine Fremde vorkam, als ich vor zwei Sommern an genau diesem Tor stand. Jetzt liebe ich es, wie wild auf die Klingel zu drücken, um Tante Sheri wissen zu lassen, dass ich hier bin. Im Ernst, ich sollte inzwischen längst eine eigene Fernbedienung für das Tor haben!
Ich winke der Kamera oben am Tor zu und bewege die Hand zur Klingel, als ich stocke. Das System ist geändert worden, seit ich vor sechs Monaten zuletzt hier war. Da ist eine neue Tafel mit unterschiedlichen Klingeln und Beschriftungen neben ihnen:Harding Estate,Stallbesucher& Anfragen.
Mein Blick wandert zu dem goldenen Schild auf der Mauer, das ebenfalls neu ist, wie mir jetzt klar wird, denn es ersetzt das frühere, und dort steht nun:THEHARDINGESTATERIDINGSCHOOL.
Und ich merke, dass ich zu lächeln anfange, als ich klingle. Hier geht es wirklich voran. Nur das schrille Bimmeln, als das Tor sich zu öffnen beginnt, ist so schmerzhaft in den Ohren wie eh und je.
»Willkommeeen!«, trällert Tante Sheri aus der Gegensprechanlage.
»Hi, Sheri! Bis ganz gleich!«, antworte ich, drehe mich zum Wagen um und winke Dad durchs Tor. Die sengende Nachmittagssonne fühlt sich zu gut auf meiner Haut an, und die sanfte Brise in meinem Haar ist erfrischend. Ich verfalle in einen halbherzigen Sprint den Sandweg hinauf, während Dad mir vorsichtig hinterherfährt.
Auf der Ranch mag manches ein wenig anders sein – warum stehen da drüben Zementmischer? –, aber das Haus hat sich nicht verändert und wird es wohl auch nie. Es ist traditionell und altmodisch, aber das macht es so liebenswert. Dies ist das Heim von einer Million Erinnerungen an meine verstorbene Großmutter, an Dads und Sheris Kindh