: Andreas K. Gruber
: Der Weg nach ganz oben Karriereverläufe deutscher Spitzenpolitiker
: VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
: 9783531918020
: 1
: CHF 38.40
:
: Politikwissenschaft
: German
: 302
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit der politischen Führun- auswahl in der Bundesrepublik Deutschland. Der Grund, wieso sich der Verf- ser gerade für dieses Thema entschieden hat, ist ein sehr einfacher. Eigentlich könnte man sagen, der Grund ist ein Buch, und zwar Dietrich Herzogs Werk 'Politische Karrieren - Selektion und Professionalisierung politischer Führun- gruppen' aus dem Jahr 1975. Dieser Meilenstein der Rekrutierungsforschung hat den Verfasser seit der ersten Lektüre nie wieder richtig losgelassen. Dies lag zum einen an dem interessanten Gedanken einer 'Karriere'. Wer träumt nicht von der eigenen Karriere oder bewundert Menschen, die - wie es so schön heißt - 'K- riere gemacht' haben. Zum anderen könnte man einen gewissen Periodeneffekt anführen. Die Themenauswahl fiel in eine Zeit, in der es an Beispielen un- wöhnlicher politischer Karrieren nicht zu mangeln schien. Von publizistischer Seite wurde gerade in der Zeit eine Häufung außergewöhnlicher Karriereverläufe konstatiert, als es 1998 zur Bildung der ersten rot-grünen Regierungskoalition kam. Wer dachte in dieser Zeit nicht sofort bei dem Begriff Karriere an einem am Kanzleramt rüttelnden Niedersachsen, der schließlich sein persönliches K- riereziel erreichen konnte? Oder an einen Taxi fahrenden Schulabbrecher und ehemaligen Steinewerfer, der im Laufe seines politischen Wirkens zum beli- testen deutschen Politiker wurde? Hier schließt sich der gedankliche Kreis. Wer politische Karrieren als 'ungewöhnlich' etikettiert, der wird sich selbst dabei ertappen, dass er in seinem Kopf ein Bild augenscheinlich gewöhnlicher Karr- ren hat.

Dr. Andreas K. Gruber ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Politikwissenschaft, insb. Politische Systeme an der Fakultät Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.
"4. Soziodemographischer Hintergrund deutscher Spitzenpolitiker (S. 79-80)

4.1 Zur Bedeutung des sozialen Hintergrunds

Herzog hat sich in seinem Standard-Werk sehr kritisch mit der so genannten social background analysis auseinandergesetzt. Er kritisiert den „stratifikationstheoretischen Ansatz"", der davon ausgeht, dass „politische Aufstiegschancen einer Person abhängig sind von ihrer Herkunft aus einer bestimmten sozialen Schicht, Subkultur, Religionsgemeinschaft, Berufskategorie, Altersgruppe usw. Demnach sind Individuen sozial – und folglich auch politisch – unterschiedlich privilegiert"" (Herzog 1975: 20).

Sein Hauptkritikpunkt ist die vermittelte Vorstellung des Stratifikations-Ansatzes, dass Elitenrekrutierung ein einstufiger Vorgang sei. Diese Annahme lässt jedoch unberücksichtigt, dass sich viele der oben erwähnten sozialen Merkmale über die Zeit hinweg ändern können und nur wenige invariant sind. Herzog veranschaulicht dies an einem Beispiel:

„Aus einer Arbeiterfamilie zu stammen, muß hinsichtlich politischer Aufstiegsprozesse wenig oder gar nichts bedeuten, wenn man später durch entsprechende Ausbildung oder Verbandskarriere in eine höhere Sozialschicht gelangt ist und von dort aus in die politische Laufbahn eintritt."" (Herzog 1975: 23)

Zudem könne es beispielsweise für eine Karriere völlig irrelevant sein, aus einer Großstadt zu kommen, wenn man den Hauptteil des politischen Aufstiegs als Kleinstädter erfahren hat (vgl. Herzog 1975: 23). Da sich die meisten sozialen Merkmale von Individuen im Lebensverlauf ändern, entwickelt Herzog seinen karrieretheoretischen Forschungsansatz in Abgrenzung oder als Ergänzung zur reinen social background analysis: „Herkunftsvariablen sind zweifellos rekrutierungsrelevant, jedoch kann ein recht unrealistisches Bild von der Wirklichkeit politischer Selektionsprozesse entstehen, wenn nicht eine longitudinale Spezifizierung erfolgt."" (Herzog 1975: 23)

Auch Golsch gibt zu bedenken, dass die Erklärungskraft des sozialen Hintergrunds als relativ begrenzt erachtet und ihr daher lediglich deskriptiver Wert zugewiesen wird (vgl. Golsch 1998: 107). Dennoch gehört die Berücksichtigung sozialer Merkmale zum Standardrepertoire parlamentssoziologischer Analysen. Die Standarddemographie der deutschen Parlamentssoziologie beinhaltet die Kriterien Alter, Geschlecht, Konfession, Familienstand, regionale und soziale Herkunft, Bildungsgrad und berufliche Tätigkeit (vgl. Kaack 1971: 646f). Wieso macht es für eine Karriere-Untersuchung Sinn, Hintergrundvariablen zu beleuchten?

Neben der Deskription der politischen Führungsgruppen kann die Analyse bestimmter Merkmale wesentliche Anhaltspunkte über Voraussetzungen oder soziale Restriktionen politischer Laufbahnen liefern (vgl. Golsch 1998: 107). Allerdings ist an dieser Stelle genau abzuwägen, welche Variablen berücksichtigt werden. Nach Herzog wären dies die invarianten und daher soziologisch aussagekräftigeren Merkmale (vgl. Herzog 1975: 23). Im Folgenden werden demgemäß die Merkmale Alter und Geschlecht betrachtet. Auch der Bildungsgrad der Spitzenpolitiker soll beleuchtet werden. Obwohl Herzog bei der Konfessionszugehörigkeit skeptisch ist und darauf hinweist, dass Religion oder Konfession für das Individuum später bedeutungslos werden oder sich verändern kann, wird dieses Merkmal hinzugenommen.

Die Begründung liegt in der Bedeutung der Konfession für die Selektorate. Zwar kann man Herzog zustimmen, dass sich der einzelne Spitzenpolitiker im Laufe seines Lebens von seiner Konfession distanzieren kann. Dies muss aber nicht zwangsläufig bedeuten, dass dieses Merkmal bei der Rekrutierung keine Rolle spielt. Im Bewusstsein der begrenzten kausalen Aussagefähigkeit des sozialen Hintergrunds sollen diese vier Merkmale anschließend analysiert werden, um mögliche soziale Barrieren im Rekrutierungsprozess zu identifizieren.

4.2 Altersschichtung

Blickt man auf das Alter der Spitzenpolitiker zum Zeitpunkt der Befragung, wird sehr schnell deutlich, dass deutsche Spitzenpolitiker eine gewisse Seniorität aufweisen.11 Im Schnitt waren sie knapp 53 Jahre alt (52,8 Jahre). Immerhin sechs Spitzenpolitiker (1,6 %) waren unter 35 Jahre alt, 47 Personen (12,7 %) zwischen 35 und 44 Jahre alt."
Inhaltsverzeichnis5
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen8
Vorwort11
1. Politische Karrieren als Untersuchungsgegenstand13
2. Zur Theorie politischer Karrieren19
3. Untersuchungsdesign und Ausschöpfungsquoten63
4. Soziodemographischer Hintergrund deutscher Spitzenpolitiker79
5. Der Weg nach ganz oben: Strukturmuster politischer Karriereverläufe97
6. Der Weg nach ganz oben: Typologien politischer Karrieren208
7. Zur Debatte über die Professionalisierung der Politik237
8. Berufswunsch: Spitzenpolitiker – Eine Anleitung240
9. Fazit251
10. Literaturverzeichnis254
Anhang270