: Joseph von Eichendorff
: Philip Gass
: Aus dem Leben eines Taugenichts In modernem Deutsch neu erzählt
: tolino media
: 9783757942007
: 1
: CHF 3.20
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 95
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Novelle 'Aus dem Leben eines Taugenichts' von Joseph von Eichendorff fasziniert ihre Leser seit fast 200 Jahren. Ein junger Mann begibt sich auf die Suche nach seinem Platz im Leben. Er nimmt uns mit auf eine Reise, die ihn in rasantem Tempo über Wien nach Rom und wieder zurück führt. Auf seiner Reise gerät der Taugenichts in viele für ihn zunächst unerklärliche Situationen, wird mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert und muss so manches Hindernis überwinden. Gut, dass er über zwei wichtige Kraftquellen verfügt, die uns auch heute noch zur Verfügung stehen, die wir aber nicht mehr so selbstverständlich nutzen wie er. Es sind die Natur und die Musik. Die Menschen, denen er begegnet, und die Erfahrungen, die er mit ihnen macht, verändern ihn. Er wird reifer und verantwortungsbewusster. Seine Entwicklung hautnah und ganz aus seiner Perspektive zu verfolgen, ist nicht nur sehr unterhaltsam, die Fragen, die ihn dabei beschäftigen, sind zeitlos und universell. Es geht um nichts Geringeres als die Suche nach dem Sinn des Lebens. Die Neufassung soll den Zugang zu diesem großartigen Werk erleichtern und im besten Fall Lust auf die Lektüre des Originals machen.

Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff (1788-1857) war ein bedeutender Lyriker und Schriftsteller der deutschen Romantik.

Erstes Kapitel


Das Mühlrad meines Vaters drehte sich und rauschte wieder fröhlich vor sich hin. Der Schnee schmolz vom Dach und die Spatzen zwitscherten und hüpften zwischen den Tropfen herum. Ich saß auf der Türschwelle und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Ich fühlte mich richtig wohl im warmen Sonnenschein. Plötzlich kam mein Vater aus dem Haus. Er hatte seit dem Morgengrauen in der Mühle gearbeitet und seine Schlafmütze saß schief auf seinem Kopf.

„Du Taugenichts!“, schrie er. „Du sitzt hier in der Sonne und lässt mich die ganze Arbeit allein machen. Ich kann dich nicht länger durchfüttern. Der Frühling ist da. Und es ist an der Zeit, dass du in die Welt hinausgehst und dir dein Brot selbst verdienst!“

„Na gut“, dachte ich, „wenn er mich für einen Taugenichts hält, dann will ich eben in die Welt ziehen und dort mein Glück machen.“

In der letzten Zeit hatte ich schon oft darüber nachgedacht, dass ich auf Reisen gehen sollte. Im Herbst und Winter hatte ich vor unserem Fenster die Goldammer gehört, die traurig sang: „Bauer, miet mich, Bauer miet mich!“ Jetzt aber zwitscherte sie fröhlich vom Baum herunter: „Bauer, behalt deinen Dienst!“

Ich ging ins Haus und nahm meine Geige von der Wand, auf der ich sehr gut spielen konnte. Mein Vater steckte mir noch etwas Geld für die Reise zu.

Auf der Straße freute ich mich sehr, als ich sah, wie meine Bekannten und Kameraden rechts und links wie gestern und vorgestern und überhaupt für immer und ewig zur Arbeit gingen. Ich dagegen zog in die große, weite Welt hinaus. Stolz und zufrieden rief ich nach allen Seiten den Leuten Lebewohl zu. Aber das schien sie nicht sonderlich zu kümmern. Ich hatte das Gefühl, als würde für mich ein ewiger Sonntag anbrechen.

Als ich endlich auf das freie Feld kam, nahm ich meine Geige, begann zu spielen und sang dazu, während ich auf der Landstraße wanderte:

Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
den schickt er in die weite Welt,
dem will er seine Wunder weisen
in Berg und Wald und Strom und Feld.

Die Trägen, die zu Hause liegen,
erquicket nicht das Morgenrot,
sie wissen nur vom Kinderwiegen,
von Sorgen, Last und Not um Brot.

Die Bächlein von den Bergen springen,
die Lerchen schwirren hoch vor Lust,
was sollt' ich nicht mit ihnen singen
aus voller Kehl' und frischer Brust?

Den lieben Gott lass ich nur walten;
der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld
und Erd' und Himmel will erhalten,
hat auch mein' Sach' aufs Best' bestellt!

Als ich mich umdrehte, bemerkte ich eine schöne Kutsche, die langsam hinter mir herfuhr. Sie musste mir schon eine Weile gefolgt sein. Ich hatte es wahrscheinlich nicht bemerkt, weil ich so in meinen Gesang vertieft war. Zwei vornehme Damen hatten ihre Köpfe aus der Kutsche gestreckt, um mir zuzuhören. Die eine war besonders hübsch und jünger als die andere, aber eigentlich gefielen mir beide sehr gut. Als ich aufhörte zu singen, ließ die ältere Dame den Wagen anhalten und sprach mich freundlich an. „Du singst ja wunderbare Lieder, mein lieber Mann.“

Ich antwortete: „Euer Gnaden, ich könnte noch viel schöner singen.“

Dann fragte sie mich, wohin ich so früh am Morgen wolle. Ich wurde verlegen, denn ich wusste es ja selbst nicht. Deshalb antwortete ich schnell: „Nach Wien!“

Die beiden Damen unterhielten sich in einer fremden Sprache, die ich nicht verstand. Die jüngere Dame schüttelte mehrmals den Kopf, während die ältere immer wieder lachte.

Schließlich rief sie mir zu: „Steig hinten auf den Wagen und fahre mit uns nach Wien.“

Das freute mich sehr. Ich verbeugte mich tief und sprang auf den Wagen. Der Kutscher ließ die Peitsche knallen, und wir fl