: Johann Wolfgang von Goethe
: Die Leiden des jungen Werther
: Null Papier Verlag
: 9783962816544
: 1
: CHF 0.80
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 194
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der junge Rechtspraktikant Werther berichtet in zahllosen Briefen über seine unglückliche Liebe zu der vergebenen Lotte. Eine Liebe, die ihn schließlich zerstören wird. Werthers Stimmung ist eine einzige Achterbahnfahrt. Wie alle unglücklich Verliebten versucht er jede Geste, jede Äußerung, jede Fürsprache der Angebeteten zu seinen Gunsten zu deuten, nur um kurz darauf wieder in bodenlose Apathie zu verfallen. Für Goethe war die Veröffentlichung ein riesiger Erfolg: Vorgestellt erstmalig auf der Leipziger Buchmesse 1774 wurde 'Die Leiden des jungen Werthers' der größte deutsche Bestseller seiner Zeit, der sogar europaweit für Furore sorgte. 'Die Leiden des jungen Werthers' gilt als Schlüsselroman der als 'Sturm und Drang' bekannten literarischen Epoche. Goethe wählte für den 'Werther' die Form des Briefromans. Erst gegen Ende des zweiten Teils wird dieser Briefwechsel durch Kommentare eines angeblichen Herausgebers ergänzt. Die Geschichte, obschon vom Autor als real geschildert, ist frei erfunden. Dennoch weißt sie viele biografische Züge aus Goethes Leben auf. Sein Freund Karl Wilhelm Jerusalem hatte sich wie Werther in eine verheiratete Frau verliebt und Selbstmord begangen. Die literarische Figur der Lotte trägt auch Züge einer realen Bekanntschaft des jungen Goethe aus der Entstehungszeit des Romans. Die Nachahmung des Suizids durch das Publikum prägte im Zuge einer aufkeimenden Medienkritik in den 1970er-Jahren erstmalig den Begriff 'Werther-Effekt'. Als Vorlage für diese digitale Ausgabe dienten folgende Veröffentlichungen: -J. J. Weber, Leipzig, 1922 -J. G. Cotta'sche Verlagsbuchhandlung -Hammersmith, London, 1911 Null Papier Verlag

Johann Wolfgang Goethe, ab 1782 von Goethe (? 28. August 1749 in Frankfurt am Main; ? 22. März 1832 in Weimar), war ein deutscher Dichter und Naturforscher. Er gilt als einer der bedeutendsten Schöpfer deutschsprachiger Dichtung. Das künstlerische Werk Goethes ist vielfältig. Den bedeutendsten Platz nimmt das schriftstellerische Werk ein. Daneben stehen das zeichnerische Werk mit über 3.000 hinterlassenen Arbeiten. Goethe war auch ein vielseitiger Übersetzer. Er übertrug Werke aus dem Französischen, dem Englischen, dem Italienischen, dem Spanischen und dem Altgriechischen.

Am 16. Junius


Wa­rum ich dir nicht schrei­be? – Fragst du das und bist doch auch der Ge­lehr­ten ei­ner. Du soll­test ra­ten, dass ich mich wohl be­fin­de, und zwar – Kurz und gut, ich habe eine Be­kannt­schaft ge­macht, die mein Herz nä­her an­geht. Ich habe – ich weiß nicht.

Dir in der Ord­nung zu er­zäh­len, wie’s zu­ge­gan­gen ist, dass ich eins der lie­bens­wür­digs­ten Ge­schöp­fe habe ken­nen ler­nen, wird schwer hal­ten. Ich bin ver­gnügt und glück­lich, und also kein gu­ter His­to­ri­en­schrei­ber.

Ei­nen En­gel! – Pfui! Das sagt je­der von der Sei­ni­gen, nicht wahr? Und doch bin ich nicht im­stan­de, dir zu sa­gen, wie sie voll­kom­men ist, warum sie voll­kom­men ist; ge­nug, sie hat al­len mei­nen Sinn ge­fan­gen­ge­nom­men.

So viel Ein­falt bei so viel Ver­stand, so viel Güte bei so viel Fes­tig­keit, und die Ruhe der See­le bei dem wah­ren Le­ben und der Tä­tig­keit. – Das ist al­les gars­ti­ges Ge­wäsch, was ich da von ihr sage, lei­di­ge Abstrak­tio­nen, die nicht einen Zug ih­res Selbst aus­drücken. Ein an­der­mal – nein, nicht ein an­der­mal, jetzt gleich will ich dir’s er­zäh­len. Tu’ ich’s jetzt nicht, so ge­schäh’ es nie­mals. Denn, un­ter uns, seit ich an­ge­fan­gen habe zu schrei­ben, war ich schon drei­mal im Be­grif­fe, die Fe­der nie­der­zu­le­gen, mein Pferd sat­teln zu las­sen und hin­aus­zu­rei­ten. Und doch schwur ich mir heu­te früh, nicht hin­aus­zu­rei­ten, und gehe doch alle Au­gen­blick’ ans Fens­ter, zu se­hen, wie hoch die Son­ne noch steht. – Ich hab’s nicht über­win­den kön­nen, ich muss­te zu ihr hin­aus. Da bin ich wie­der, Wil­helm, will mein But­ter­brot zu Nacht es­sen und dir schrei­ben. Welch eine Won­ne das für mei­ne See­le ist, sie in dem Krei­se der lie­ben, mun­tern Kin­der, ih­rer acht Ge­schwis­ter, zu se­hen! – Wenn ich so fort­fah­re, wirst du am Ende so klug sein wie am An­fan­ge. Höre denn, ich will mich zwin­gen, ins De­tail zu ge­hen.

Ich schrieb dir neu­lich, wie ich den Amt­mann S… habe ken­nen ler­nen, und wie er mich ge­be­ten habe, ihn bald in sei­ner Ein­sie­de­lei oder viel­mehr sei­nem klei­nen Kö­nig­rei­che zu be­su­chen. Ich ver­nach­läs­sig­te das, und wäre viel­leicht nie hin­ge­kom­men, hät­te mir der Zu­fall nicht den Schatz ent­deckt, der in der stil­len Ge­gend ver­bor­gen liegt.

Un­se­re jun­gen Leu­te hat­ten einen Ball auf dem Lan­de an­ge­stellt, zu dem ich mich denn auch wil­lig fin­den ließ. Ich bot ei­nem hie­si­gen gu­ten, schö­nen, üb­ri­gens un­be­deu­ten­den Mäd­chen die Hand, und es wur­de aus­ge­macht, dass ich eine Kut­sche neh­men, mit mei­ner Tän­ze­rin und ih­rer Base nach dem Orte der Lust­bar­keit hin­aus­fah­ren und auf dem Wege Char­lot­ten S… mit­neh­men soll­te. – »Sie wer­den ein schö­nes Frau­en­zim­mer ken­nen­ler­nen«, sag­te mei­ne Ge­sell­schaf­te­rin, da wir durch den wei­ten, aus­ge­haue­nen Wald nach dem Jagd­hau­se fuh­ren. – »Neh­men Sie sich in acht«, ver­setz­te die Base, »dass Sie sich nicht ver­lie­ben!« – »Wie­so?« sag­te ich. – »Sie ist schon ver­ge­ben«, ant­wor­te­te jene, »an einen sehr bra­ven Mann, der weg­ge­reist ist, sei­ne Sa­chen in Ord­nung zu brin­gen, weil sein Va­ter ge­stor­ben ist, und sich um eine an­sehn­li­che Ver­sor­gung zu be­wer­ben.« – Die Nach­richt war mir ziem­lich gleich­gül­tig.

Die Son­ne war noch eine Vier­tel­stun­de vom Ge­bir­ge, als wir vor dem Hof­to­re an­fuh­ren. Es war sehr schwül, und die Frau­en­zim­mer äu­ßer­ten ihre Be­sorg­nis we­gen ei­nes Ge­wit­ters, das sich in weiß­grau­en, dump­fich­ten Wölk­chen rings am Ho­ri­zon­te zu­sam­men­zu­zie­hen schi­en. Ich täusch­te ihre Furcht mit an­maß­li­cher Wet­ter­kun­de, ob mir gleich selbst zu ah­nen an­fing, un­se­re Lust­bar­keit wer­de einen Stoß lei­den.

Ich war aus­ge­stie­gen, und eine Magd, die ans Tor kam, bat uns, einen Au­gen­blick zu ver­zie­hen, Mam­sell Lott­chen wür­de gleich kom­men. Ich ging durch den Hof nach dem wohl­ge­bau­ten Hau­se, und da ich die vor­lie­gen­den Trep­pen hin­auf­ge­stie­gen war und in die Tür trat, fiel mir das rei­zends­te Schau­spiel in die Au­gen, das ich je ge­se­hen habe. In dem Vor­saa­le wim­mel­ten sechs Kin­der von eilf zu zwei Jah­ren um ein Mäd­chen von schö­ner Ge­stalt, mitt­ler­er Grö­ße, die ein simp­les wei­ßes Kleid, mit blass­ro­ten Schlei­fen an Arm und Brust, an­hat­te. Sie hielt ein schwar­zes Brot und schnitt ih­ren Klei­nen rings her­um je­dem sein Stück nach Pro­por­ti­on ih­res Al­ters und Ap­pe­tits ab, gab’s je­dem mit sol­cher Freund­lich­keit, und je­des rief so un­ge­küns­telt sein »Dan­ke!«, in­dem es mit den klei­nen Händ­chen lan­ge in die Höhe ge­reicht hat­te, ehe es noch ab­ge­schnit­ten war, und nun mit sei­nem Abend­bro­te ver­gnügt ent­we­der weg­s­prang, oder nach sei­nem stil­lern Cha­rak­ter ge­las­sen da­von­ging nach dem Hof­to­re zu, um die Frem­den und die Kut­sche zu se­hen, dar­in ihre Lot­te weg­fah­ren soll­te. – »Ich bit­te um Ver­ge­bung«, sag­te sie, »dass ich Sie her­ein­be­mü­he und die Frau­en­zim­mer war­ten las­se. Über dem An­zie­hen und al­ler­lei Be­stel­lun­gen fürs Haus in mei­ner Ab­we­sen­heit habe ich ver­ges­sen, mei­nen Kin­dern ihr Ve­s­per­brot zu ge­ben, und sie wol­len von nie­man­den Brot ge­schnit­ten ha­ben als von mir.«

Ich mach­te ihr ein un­be­deu­ten­des Kom­pli­ment, mei­ne gan­ze See­le ruh­te auf der Ge­stalt, dem Tone, dem Be­tra­gen, und ich hat­te eben Zeit, mich von der Über­ra­schung zu er­ho­len, als sie in die Stu­be lief, ihre Hand­schu­he und den Fä­cher zu ho­len. Die Klei­nen sa­hen mich in ei­ni­ger Ent­fer­nung so von der Sei­te an, und ich ging auf das jüngs­te los, das ein Kind von der glück­lichs­ten Ge­sichts­bil­dung war. Es zog sich zu­rück, als eben Lot­te zur Türe her­aus­kam und sag­te: »Louis, gib dem Herrn Vet­ter eine Hand.« – Das tat der Kna­be sehr frei­mü­tig, und ich konn­te mich nicht ent­hal­ten, ihn, un­ge­ach­tet sei­nes klei­nen Rotz­näs­chens, herz­lich zu küs­sen.

»Vet­ter?« sag­te ich, in­dem ich ihr die Hand reich­te, »glau­ben Sie, dass ich des Glücks wert sei, mit Ih­nen ver­wandt zu sein?« – »O«, sag­te sie mit ei­nem leicht­fer­ti­gen Lä­cheln, »un­se­re Vet­ter­schaft ist sehr weit­läu­fig, und es wäre mir leid, wenn Sie der schlimms­te drun­ter sein soll­ten.« – Im Ge­hen gab sie So­phien, der äl­tes­ten Schwes­ter nach ihr, ei­nem Mäd­chen von un­ge­fähr elf Jah­ren, den Auf­trag, wohl auf die Kin­der acht zu ha­ben und den Papa zu grü­ßen, wenn er vom Spa­zier­rit­te nach Hau­se käme. Den Klei­nen sag­te sie, sie soll­ten ih­rer Schwes­ter So­phie fol­gen, als wenn sie’s sel­ber wäre, das denn auch ei­ni­ge aus­drück­lich ver­spra­chen. Eine klei­ne, na­se­wei­se Blon­di­ne aber, von un­ge­fähr sechs Jah­ren, sag­te: »Du bist’s doch nicht, Lott­chen, wir ha­ben dich doch lie­ber.« – Die zwei äl­tes­ten Kna­ben wa­ren hin­ten auf die Kut­sche ge­klet­tert, und auf mein Vor­bit­ten er­laub­te sie ih­nen, bis vor den Wald mit­zu­fah­ren, wenn sie ver­sprä­chen, sich nicht zu ne­cken und sich recht fest­zu­hal­ten.

Wir hat­ten uns kaum zu­recht ge­setzt, die Frau­en­zim­mer sich be­will­kommt, wech­sels­wei­se über den An­zug, vor­züg­lich über die Hüte ihre An­mer­kun­gen ge­macht und die Ge­sell­schaft, die man...