Prolog
Der Sommerwind streicht ihr warm über das Gesicht. Leicht wie eine Feder geht sie auf bloßen Füßen über die Wiese. Das Gras ist feucht vom Morgentau, irgendwo im Garten zwitschert eine Amsel, und sie spürt eine Freude wie seit Ewigkeiten nicht mehr.
»Ich bin«, sagt sie zu sich selbst, ohne richtig zu wissen, warum. Dann wiederholt sie die Worte mit einem Lächeln, einfach, weil sie so schön klingen. »Ich bin.«
In der Ferne hört sie ein Geräusch, wie von einem Hammer, der mit Wucht auf eine Holzplatte geschlagen wird. Sie sieht sich um. Niemand ist hier. Aber da ist es wieder. Näher diesmal. Sie fühlt Angst in sich aufsteigen, spürt, wie das Geräusch sie packt und in die Höhe zieht. Sie versucht dagegen anzukämpfen, das Bild des Gartens verschwimmt, sie greift danach, doch kann es nicht fassen. In einer langsamen Aufwärtsspirale schwebt sie durch die Schichten zwischen Traum und Wirklichkeit und erwacht mit einem Ruck.
Sie reißt die Augen auf und starrt mit klopfendem Herzen in die Dunkelheit. Ist da jemand? Sie lauscht. Abgesehen vom sanften Rauschen des Windes, der durch die nackten Zweige der Bäume im Hof fährt, ist es totenstill.
Da hört sie es wieder. Drei wütende Schläge. Und plötzlich weiß sie, was es ist. Jemand klopft an der Tür.
Es ist ein fremder Laut. In den vier Jahren, die sie hier im Haus wohnen, hat sie den Türklopfer nur einige wenige Male gehört, normalerweise bekommen sie keinen Besuch (früher hatten sie Freunde, jetzt nicht mehr). Sie schaut zum Nachttisch. Die grünen Ziffern des Radioweckers zeigen 04.16 Uhr.
Wer sollte hier mitten in der Nacht auftauchen? Die Polizei? Eine Zeit lang haben sie ihn beobachtet, so viel weiß sie, aber in den letzten Jahren nicht mehr. Wer dann? Ein Einbrecher?
Aber würden Einbrecher anklopfen?
Sie streckt den Arm aus und rüttelt an ihrem Mann. Er liegt mit dem Rücken zu ihr und schläft tief, wie sie an seinen schnarchenden Atemzügen erkennen kann. Sie rüttelt erneut an ihm, fester diesmal.
»Was?«, murmelt er schlaftrunken.
»Da klopft jemand. Jetzt wach schon auf!«, sagt sie verärgert.
Er dreht sich umständlich um, stützt sich auf die Ellbogen und bringt seinen großen Körper in eine halb aufrechte Position. »Klopft? Was redest du da?«
Er ist noch nicht richtig wach, die Worte kommen undeutlich aus seinem Mund, dennoch schwingt Unruhe in seiner Stimme mit, vielleicht sogar Angst. Nervös schüttelt sie den Kopf. Was ist nur los?
»Jemand klopft an der Tür. Geh endlich und mach auf.« Ihre Stimme überschlägt sich.
Er seufzt, schwingt die Beine über die Bettkante und steht auf. Schwankt kurz, bevor er das Gleichgewicht wiederfindet und mit schweren Schritten in den Flur geht. Er schließt die Schlafzimmertür hinter sich.
Sie hört, wie er den Schlüssel im Eingangsschloss dreht und die Klinke herunterdrückt. Dann wird die Tür mit einem Ruck aufgestoßen. Undeutliches Stimmengewirr dringt zu ihr durch, jemand spricht, und ihr Mann ruft etwas.
Es klingt, als ob ihn jemand packt und zurück ins Haus drängt. Mit einem dumpfen Dröhnen poltert er gegen die Wand, und er stöhnt auf.
Einen Moment ist sie wie gelähmt. Dann krampft sich ihr Zwerchfell panisch zusammen. Ihr Haus liegt einsam am Waldrand. Die nächste Nachbarin, mit der sie noch nie ein Wort gesprochen hat, lebt mehrere Hundert Meter entfernt. Außerdem ist es eine alte Frau, was sollte sie schon ausrichten?
Die Hunde, schießt es ihr durch den Kopf. Die Hunde!
Sie reißt die Nachttischschublade auf und wühlt darin nach dem Pfefferspray. Dann schlägt sie die Decke zur Seite, springt auf und öffnet vorsichtig die andere Schlafzimmertür, die zum Wohnzimmer führt. Ni