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Strand bei Vielle-Saint-Girons, April 1855
Lydie grub ihre Finger in den kalten Sand. Die Feuchtigkeit kroch durch ihr Kleid und den Unterrock bis an ihre nackte Haut. Die Schwestern und die Mutter wussten nicht, dass sie da war und sie beobachtete. Die aufgehende Sonne verlieh dem Dunst über dem Meer ein magisches Leuchten. Der mächtige Zweimaster wirkte mit seinen Segeln wie ein gezacktes Ungetüm, das aus dem Nebel auftauchte, um den Strand und seine Menschen zu verschlingen. Das Schiff lag jedoch vor Anker, ein gebändigter Riese, nur das winzige Beiboot mit zwei Mann Besatzung bewegte sich langsam auf das Ufer zu.
Das Gejammer der Schwestern drang zu ihr herüber, während das goldene Licht des Morgens intensiver wurde. Sie weinten, weil die eine ging und die andere ohne sie zurückblieb. Auch Lydies Gesicht war tränenüberströmt, wie sie mit einiger Überraschung feststellte. Sie merkte meist erst, dass sie weinte, wenn ihr die Tropfen aufs Dekolleté fielen.
Sie weinte nicht aus denselben Gründen wie die anderen. Das tat sie nie. Lydie weinte, weil sie bleiben musste.
Ihr graute davor, dass Céleste, nun, da Fabienne fort und bald verheiratet wäre, versuchen würde, die eine Schwester durch die andere zu ersetzen. Sie konnte nichts anfangen mit dem Gerede über Kleider, Mode, Männer. Sie wollte weder eine Vertraute haben noch eine sein.
Einer der Seeleute ergriff Fabiennes Hand, mit der anderen raffte sie ihr Kleid und kletterte in das Beiboot, das sich sofort in Bewegung setzte. Das kleine Gefährt wurde unschärfer, je weiter es sich auf den Zweimaster zubewegte. Fabienne hielt ihren Hut fest und winkte mit ihrem Taschentuch, Céleste und ihre Mutter taten es ihr nach.
Du Glückliche, dachte Lydie.Fort von hier.
In eine Ehe allerdings, die der Vater gestiftet hatte. Das mochte noch schlimmer sein als das Leben auf einem abgelegenen Gutshof oder in einem ebenso einsamen Strandhaus. Lydie konnte nur hoffen, dass ihr nichts Ähnliches widerfahren würde.
So, wie du dich gebärdest, finden wir nie einen Mann für dich.
Die Worte der Mutter nährten diese Hoffnung ebenso wie die des Vaters.
Du bist zu klug, Lydie. Männer mögen keine klugen Frauen.
Er sagte es liebevoll, doch mit einem Hauch von Verzweiflung.
Lydie hielt sich nicht für klug. Wäre sie es gewesen, hätte sie längst einen Roman beendet, ein großes Kunstwerk erschaffen. Für ihre Texte jedoch interessierte sich niemand. Wenn sie sie selbst las, kamen sie ihr bedeutungslos vor. Sie war kein Victor Hugo, kein Alexandre Dumas, würde es nie sein. Ihre