: Rosie Walsh
: Ein ganzes Leben lang Roman
: Goldmann
: 9783641222598
: 1
: CHF 8.70
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 592
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Emma und Leo sind seit sieben Jahren glücklich verheiratet. Leo schreibt Nachrufe für eine große Tageszeitung, Emma ist eine brillante Meeresbiologin und ein ehemaliger Fernsehstar. Gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter Ruby genießen sie das Familienidyll in Hampstead, London. Nur eines trübt das Glück - Emma leidet an einer schweren Krankheit. Und so erhält Leo den Auftrag, einen Nachruf auf seine geliebte Frau zu verfassen, falls es zum Schlimmsten kommt. Doch bei den Recherchen über ihr Leben stößt er auf eine schockierende Wahrheit: Alles, was Emma ihm über sich erzählt hat, ist eine Lüge ...

Die britische Autorin Rosie Walsh lebt mit ihrem Lebensgefährten und zwei Kindern in Bristol. Ihr Debüt »Ohne ein einziges Wort« stand wochenlang an der Spitze der Spiegel-Bestsellerliste. Rosie liebt lange Spaziergänge, spielt Violine in einem Orchester, kocht und tanzt, so oft sie kann.

Erstes Kapitel


Leo


Beim Aufwachen sind ihre Wimpern oft so feucht, als sei sie im Schlaf in einem Meer aus traurigen Träumen geschwommen. »Muss so ein Augendings sein«, sagt sie dann immer. »Albträume habe ich jedenfalls nie.« Dann gähnt sie wie ein Nilpferd, wischt sich den Schlaf aus den Augen und schlüpft rasch aus dem Bett, um sich zu vergewissern, dass Ruby noch lebt und atmet. Eine Angewohnheit, die sie einfach nicht abschütteln kann, obwohl Ruby inzwischen beinahe drei ist.

»Leo!«, sagt sie, wenn sie wieder zu mir ins Bett schlüpft. »Aufwachen! Küss mich!«

Es vergeht ein Moment, bis ich aus den trüben Untiefen heraufsteige ins Licht des anbrechenden Tages. Von Osten zieht die Morgendämmerung mit bernsteingoldenen Schatten auf, und wir kuscheln uns ganz eng aneinander, während Emma plappert wie ein Wasserfall – nur gelegentlich unterbricht sie sich mitten im Satz, um mich unvermittelt zu küssen. Um Viertel vor sieben schauen wir auf Wikideaths nach, ob über Nacht jemand gestorben ist, und um sieben lässt sie einen fahren und schiebt das Geknatter auf ein zufällig vorbeifahrendes Moped.

Ich weiß nicht mehr, wie lange wir schon zusammen waren, als sie damit angefangen hat. Vermutlich nicht sehr lange. Aber sie muss gewusst haben, dass ich da längst mit im Boot war und es genauso unwahrscheinlich gewesen wäre, dass ich über die Reling ins eiskalte Wasser springe und wieder an Land zurückschwimme, wie mir Flügel wachsen zu lassen und zurückzufliegen.

Wenn unsere Tochter bis dahin nicht zu uns ins Bett gekrabbelt ist, krabbeln wir in ihrs. Die Luft im Kinderzimmer ist süßlich und heiß, und unsere frühmorgendlichen Gespräche, die sich meist um Ente drehen, gehören zu den glücklichsten Momenten, die mein Herz kennt. Ente, die sie im Schlaf immer ganz fest an sich drückt, erlebt nachts die wildesten Abenteuer.

Meistens ziehe ich Ruby dann an, während Emma schon mal nach unten geht und »Frühstück macht«, wobei sie sich allerdings mit schönster Regelmäßigkeit von den Meeresdaten ablenken lässt, die sich über Nacht in ihrem Labor angesammelt haben, weshalb Ruby und ich uns dann meistens ums Essen kümmern. Meine Frau kam gut zwanzig Minuten zu spät zu ihrer eigenen Hochzeit, weil sie unterwegs unbedingt anhalten musste, um im Brautkleid die Gezeitenzonen am Restronguet Creek zu fotografieren. Und niemanden, außer den Standesbeamten vielleicht, hat das gewundert.

Emma ist Gezeitenforscherin, das heißt, sie erforscht Orte und Kreaturen, die bei Flut unter Wasser liegen und bei Ebbe trockenfallen. Der wundersamste und aufregendste Lebensraum überhaupt auf unserem Planeten, findet sie. Schon als kleines Mädchen war sie fasziniert von Gezeitentümpeln. Es liegt ihr einfach