Abendgesellschaften
Am 28. April 1947, einem Montag, erlebte Aleppo einen strahlenden Frühlingstag. Die Sonne spendete trotz der dichten weißen Wolkendecke schon so viel Wärme, dass viele ihre Angelegenheiten für diesen Nachmittag ruhen ließen und in den Grünflächen am Fluss spazieren gingen, dort, wo Jahre später nach dem Vorbild der Gärten von Versailles der berühmteste öffentliche Park des Orients entstehen sollte.
Am Nordufer, im Herzen der Stadt, lag das Viertel Azizieh, und dort, wo man zum Bahnhof abbog, stach die elegante Villa aus roséfarbenem Aleppo-Stein des Rechtsanwalts Bahdjat al-Haffar hervor, von deren Balkon aus man den Park überblicken konnte.
Noch zwei Stunden blieb der Aprilhimmel den Spaziergängern gewogen, dann blitzte und donnerte er los. Gerade als es aus den Wolken zu schütten begann, klingelte Bahdjat Beys Telefon. Seine Frau Madiha Hanim betrat mit zwei Tassen Kaffee und einem Glas Wasser auf einem Tablett sowie einer kleinen Vase, in der zwei schneeweiße Jasminblüten standen, das Zimmer. Ihr Mann legte auf. Alle Zuversicht war aus seinem Gesicht gewichen. Er wartete, bis sie Platz genommen und den Kaffee abgestellt hatte. Zuerst nahm er einen Schluck, dann sie: »Mach dich und die Kinder bereit, wir fahren nach Damaskus!«, sagte er nüchtern.
Madiha Hanim geriet in Aufregung, bewahrte jedoch die Fassung. Sie hatte schon mehrere Tage mit einer solchen Nachricht gerechnet. Seit ihr Mann seine politische Laufbahn angetreten hatte, war sie auf Notfälle gefasst.
Das Jahr 1946 war für das Leben der Syrer ziemlich chaotisch gewesen, und es sollte auch in den folgenden Jahren so bleiben. Mehrere Mitglieder des Nationalen Blocks hatten sich abgespalten und die Volkspartei gegründet, während die Verbliebenen den Namen »Nationaler Block« für ihre Partei behielten. Die Volkspartei wurde von einem Zusammenschluss wohlhabender Bürger unterstützt, an vorderster Front Nazim al-Qudsi und Ruschdi al-Kichya, die aus persönlichem Interesse für eine Wirtschaftsunion mit dem Irak plädierten. Obwohl Aleppo, die Geburtsstadt von Bahdjat Bey, eine Hochburg seiner Partei war, hatte er sich der Union deutlich entgegengestellt und in Kauf genommen, dass sich die Parteibasis, wie auch ihre Führer von ihm abwendeten. Vielleicht gingen die Reaktionen sogar über eine Ächtung und den Beziehungsabbruch hinaus, jedenfalls hatte er beschlossen, Aleppo deshalb zu verlassen und mit seiner Familie in Damaskus zu leben, bis sich die Parteienlandschaft in Syrien wieder stabilisiert hatte.
Kaum hatte sich Bahdjat Bey in Damaskus eingerichtet, gingen seine alten Freunde aus Aleppo, hohe Regierungsbeamte, Politiker und Professoren der Syrischen Universität, in seinem Haus ein und aus. Sie suchten dort den lebendigen Geist ihrer Stadt und fanden ihn in Unterhaltungen und Diskussionen, die sich in erster Linie um Politik und die Kochkunst drehten. Denn, was Geschmack, Können und Vielfalt betraf, waren sich die Aleppiner ausnahmsweise über die weltweite Einmaligkeit ihrer Küche einig.
Vorrausschauend hatte Bahdjat Bey ein geräumiges, freistehendes Haus gekauft. Es lag an der neuen Verbindungsstraße zwischen den alten Damaszener Vierteln Muhadjirin und Salihiye und führte mitten durch das Viertel Abu Rummana, am Mausoleum des unbekannten wohltätigen Heiligen vorbei. Dort hatte der Legende nach vor langer Zeit ein Granatapfelbaum, auf Arabisch »Rummana«, Schatten gespendet und dem Viertel seinen Namen gegeben. Später, als die französischen Streitkräfte abzogen, nannte man das Viertel zwar in Scharia l-Djalaa um, also: »Straße des Abzugs«, doch, wie so oft, hielten die meisten an dem gewohnten Namen fest.
Bahdjat B