1
Shelby Blanton würde nie wieder schlafen.
Sie hätte wissen müssen, dass sie sich besser kein Double Feature aus Gruselfilmen ansah, während sie irgendwo im Nirgendwo in einer Hütte eingeschneit festsaß.
Ja, das war definitiv ihr erster Fehler gewesen.
Und die nächste gewaltige Fehlentscheidung war der Espresso nach dem Essen gewesen. Eigentlich bevorzugte sie ja grünen Tee, aber da es in der Hütte schon mal eine Espressomaschine gab, hatte sie im ersten Moment gedacht, ja, prima, aber jetzt, oh, mein Gott, sie konnte ihr Herz förmlich schlagenhören, und ihre Augenlider …flatterten? Genau das Richtige für Weicheier!
Nun lag sie hier, in einem Riesenbett, streckte alle viere von sich, schlotterte praktisch, nach der Überdosis Koffein, und fragte sich bei jedem Knacken und Knarzen der finsteren Hütte, ob da böse Mächte am Werk waren, die nur darauf warteten, dass sie endlich einschlief, damit sie ihre Seele rauben konnten. Das Tick-Tack kam sicher von der mächtigen Standuhr – samt Pendeln – im Wohnzimmer. Während das unregelmäßige Brummen von der an- und ausgehenden Heizung herrührte. Und die schlurfenden Schritte kamen von –
Shelby schoss hoch, saß kerzengrade, eine Ecke der dicken Daunendecke an die Brust gepresst und redete sich ein, dass kein Axtmörder in der Hütte war.
Schritte? Das war reine Einbildung. Vielleicht der Wind, oder die Leitungen, oder –
Heilige Scheiße, da, schon wieder.
Das Geräusch kam von unten. Der romantische Kick, in der Natur zu sein, ohne Handyempfang, nicht einmal Festnetz gab es, verwandelte sich mit einem Schlag in eine eiskalte Decke des Grauens, die sie vom Kinn bis zu den Zehen einhüllte. Den Blick fest auf die – natürlich – offene Schlafzimmertür gerichtet, langte sie nach ihrer Handtasche auf dem Nachttisch und kramte darin, bis ihre Finger das kühle Metall des Elektroschockers mit integrierter Taschenlampe berührten. Das war zwar nicht so eine sichere Sache wie Salz und ein Gasbrenner, aber es würde ihr einen gewissen Vorsprung verschaffen, solange es sich um ein menschliches Wesen und nicht um ein bösartiges einäugiges Monster handelte.
Okay, eigentlich war ihr klar, dass der Spuk nur in ihrer Einbildung stattfand, aber sage das einer dem prähistorischen Teil ihres Gehirns, der gerade ultimativ am Rad drehte. Das war’s. Sie würde sich nie wieder einen Horrorfilm anschauen. Nie wieder!
Den Schocker fest im Griff, schlüpfte sie aus dem Bett, hielt den Atem an und versuchte, während sie auf Zehenspitzen zur Tür schlich, etwas anderes zu hören als das in ihren Ohren rauschende Blut. Sie bezog links neben der offenen Tür Stellung und drückte sich mit dem Rücken an die Wand.
Eine Treppenstufe knarzte, dann noch eine, gefolgt von einem langen Seufzer, der gar nicht nach Gespenst klang, sondern eher nach höllischer Müdigkeit. Aber unter dem Aspekt, dass es sich hier um einen Einbrecher/Serienmörder handelte, hatte sie nicht vor, irgendwelches Mitgefühl aufzubringen.
Ein nervöses Giggeln wollte ihr in die Kehle steigen. Sie biss die Zähne zusammen, spannte die Bauchmuskeln an und hoffte, ihren unliebsamen Reflex zu diesem unmöglichen Zeitpunkt