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Emma war mit dem ersten Licht zu Fuß zum Holzhafen aufgebrochen. Novembernebel schlich durch die Gassen, schluckte Farben und Geräusche, verwischte die Konturen; das Möwengeschrei klang dumpf und leise, und selbst die Gerüche schienen gedämpft. Wie mein Innerstes, dachte sie.
Am Abend zuvor hatte sie Johanna ihre endgültige Entscheidung am Telefon mitgeteilt, und obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, den Entschluss nicht zu diskutieren, war es der Kollegin dann doch gelungen, sie in ein längeres Gespräch zu verwickeln, das partout kein Ende nehmen wollte.
»Ich will keine Stelle beimBKA«, hatte sie in selbstsicherem Ton erklärt. »Weder in Berlin noch in Wiesbaden oder …«
»Es gibt andere Möglichkeiten, das weißt du. Ich kann einiges bewirken, gerade jetzt.«
Hauptkommissarin Johanna Krass war nach den geklärten Mordfällen vom Salzhaff zur Leiterin der Abteilung für verdeckte Einsätze desBKA befördert worden und hatte hauptberuflich wieder in Berlin zu tun. Sie klang hochzufrieden, tatendurstig, fast euphorisch, was nicht zuletzt auch damit zu tun haben dürfte, dass sie endlich ihre verhasste Vorgesetzte losgeworden war, die sich darüber sehr wahrscheinlich ähnlich ausgelassen freute, wie Johanna lachend erzählt hatte.
»Ich weiß, das hast du schon mehrfach betont, und ich freue mich, dass es für dich so gut läuft«, entgegnete Emma.
»Das könnte es für dich auch. Immerhin haben wir es deiner Hartnäckigkeit zu verdanken, dass kein Unschuldiger sitzt.« Sie räusperte sich. »Auch wenn deine eigenmächtige und riskante Vorgehensweise … Aber lassen wir das jetzt. Vielleicht brauchst du nur etwas Bedenkzeit.«
»Ich hatte Bedenkzeit, Johanna. Und das Ergebnis ist eindeutig: Ich will nicht zurück in den Polizeiapparat.«
»Warum nicht? Du kriegst alle Freiheiten, die du für nötig hältst.«
»Das ist Quatsch.«
»Na gut – ich würde dafür sorgen, dass …«
»Nein.«
Emma hörte, dass Johanna tief durchatmete. »Du willst also tatsächlich als private Ermittlerin in Wismar bleiben? Davon kannst du kaum leben, selbst wenn du in der Rostocker Detektei aushilfst«, warf sie ein.
»Ich brauche nicht viel.«
»Das Modell war gut, als es darum ging, hochbrisante und komplizierte Fälle imOK-Bereich mit Rückendeckung und finanzieller Unterstützung desBKA voranzutreiben, aber was willst du jetzt noch dort? Hauptberuflich untreue Ehemänner oder -frauen beschatten? Geld eintreiben? Florian …«
»Hat sich anders entschieden, ich weiß«, unterbrach Emma sie schnell. Dieses Thema wollte sie auf keinen Fall mit Johanna diskutieren.
»Das war schlau.«
»Es war das Richtige für ihn.«
»Ich dachte, ihr beide …«
Emma blendete den Rest des Satzes aus, und irgendwann brach Johanna ab. Einen Moment herrschte ein unbehagliches Schweigen. DasBKA hatte Florian eine sechsmonatige Fortbildung angeboten, und die Aussichten auf ein Stellenangebot standen sehr gut für ihn. Emma hatte ihn nicht aufgehalten, und das war wohl verletzender als alles andere gewesen. Seit er weg war, hatten sie gerade zweimal telefoniert – kühl, distanziert, verunsichert. Es war vorbei, bevor es richtig begonnen hatte, und die Verblüffung über das seltsam unaufgeregte Ende war größer als der Schmerz.
»Falls du es dir doch noch anders überlegst, melde dich«, sagte Johanna schließlich.
»Mach ich.«
»Und wenn ich sonst etwas für dich tun kann oder du Hilfe brauchst, lass es mich wissen.«
»Ja. Danke.«
Johanna traute dem Frieden nicht, und Emma konnte es ihr nicht verdenken. Die intensive Zusammenarbeit der letzten Monate hatte sie einander nähergebracht, und Johanna – diese widerborstige, scharfsinnige und höchst eigenwillige Kommissarin – war wohl auf ihre ganz eigene Art besorgt, und zwar nicht nur, weil Emma ihrer Ansicht nach ihre Karriere ver