Ketten
Sunyu
Sunyus Schritte hallten durch den dunklen Palast. Schwer und dunkel klangen sie, wie die drohenden Trommelschläge, wenn ein Heer vor den Toren zum Angriff bläst. Wie der Nebel, der nicht nur droht, eine Stadt zu verschlingen, sondern es tut, bis er alles Leben erstickt. Wie die See, die gegen den Fels brandet, um in Tausenden von Jahren das Land zu vernichten. Ein Drache auf der Suche nach Rache.
Doch es war weder ein Heer noch ein Drache, der auf dem Weg zu Vilgrims Gemächern war. Es war viel schlimmer.
Er war es, Sunyu.
Blutrote Flammen schossen aus seiner Hand auf die verschlossene Tür zu. Mit einem ohrenbetäubenden Knall barst das Holz in winzige Stücke, die bis in den hintersten Winkel von Vilgrims steinernem Palast stoben und ihm den Weg frei machten. Ohne seinen Lauf zu verlangsamen, trat Sunyu unter dem noch brennenden Türrahmen in das Gemach des Fürsten.
Vilgrim stand spärlich bekleidet vor seinem Bett und starrte ihn aus schreckgeweiteten Augen an. Neben ihm stand Kirjana, seltsam berührt, als er für einen Wimpernschlag ihren Blick suchte. Doch Sunyus Aufmerksamkeit galt dem kleinen, kalten, schäbigen Fürsten.
»Du hast sie umgebracht!«, grollte Sunyu. Seine Stimme donnerte durch den Raum, verstärkt von seinen wütenden Flammen, die bis weit über seinen Kopf loderten. Mit jedem Wort, bei jedem Atemzug stoben sie auf, spiegelten das wider, was in seinem Inneren vor sich ging.
Chaos. Wut. Hass. Und wie er Vilgrim hasste, diesen Scheisskerl, den er am besten bei der ersten Begegnung schon zu Seylani und ihrem verfluchten Arsch geschickt hätte.
Selbst Weltenspalter summte nicht mehr. Nein, er schrie.
Vilgrim schluckte, doch seine Stimme klang betont gelassen. »Du hast den Befehl an deine Männer gegeben.«
Sunyu zerriss innerlich. Das wohlgehütete Geheimnis in seiner tiefsten Seele, das goldene Licht in der Dunkelheit, erlosch. Nichts hielt ihn mehr auf, keiner stellte sich ihm in den Weg. Vilgrim ahnte nicht, dass er mit diesen Worten sein eigenes Ende besiegelt hatte.
Jeder Schritt fühlte sich an wie eine Stufe auf dem Weg zur Göttin des Todes. Schwere Glockenschläge in seinem Bauch, die das Atmen erschwerten, die Kälte anlockten. Doana würde auch einem elenden Hund wie Vilgrim einen Neuanfang gewähren. Diese Gnade war zu gütig für diese falsche Schlange.
»Du wusstest es?« Er hob das flammende Schwert an. Die das Licht schluckende Klinge glühte unter seinem wütenden Feuer auf, das die Farbe von frischem Blut trug und sich nach dem Lebenssaft verzehrte.
Alles in ihm brannte: sein Herz, seine Brust, die Augen. Doch Sunyu wollte keine Schwäche zeigen. Fürsie.
Vilgrim lächelte. »Wir wissen vieles nicht, nicht wahr, Sunyu?«