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Auf der Rückfahrt nach Fragolin, die sie von der Küste ins gebirgige Hinterland desMassif des Maures führte, hatten sie reichlich Zeit zu plaudern. Genau genommen war es vor allem Jacqueline, die fortwährend redete, während sich Isabelle zurückhielt und weitgehend aufs Zuhören beschränkte. Entspannt steuerte sie ihren privaten Renault über die enge Landstraße. Sie war sie schon so oft gefahren, dass sie jede Kurve auswendig kannte. Nur selten kam ein Auto entgegen, dann wurde es eng. Wer nicht aufpasste, geriet mit den Außenrädern in den Straßengraben. Das war nicht nur eine Frage des Augenmaßes, sondern auch der Nerven. Ihr war das noch nie passiert. Es stimmte eben nicht immer, dass der Klügere nachgab. Zumindest auf diesen Straßen war man da schnell der Dümmere.
»Mir hat der junge Polizist leidgetan«, sagte Jacqueline. »Fast hatte ich ein schlechtes Gewissen, als ich ihm meinen Dienstausweis unter die Nase gehalten habe.«
Isabelle lächelte, schaltete herunter und nahm die nächste Kurve.
»Warum? War doch lustig.«
»Er hat geglaubt, ich sei jemand ganz Wichtiges, dabei bin ich nur …«
»Du kennst doch Miss Moneypenny aus den James-Bond-Filmen«, fiel ihr Isabelle ins Wort. »Sie hütet beim britischen Geheimdienst MI6 das Vorzimmer von M. Du bist so was Ähnliches, nur dass dein Boss, der auch der meine ist, Maurice Balancourt heißt. Viel wichtiger geht’s doch nicht.«
»Stimmt schon, aber nicht, was meine Person betrifft. Apropos Maurice, ihm geht’s besser.«
»Nach seiner Gallenblasenoperation? Freut mich. Darf er schon wieder rauchen?«
»Noch nicht. Er muss für die nächsten Tage auf seine geliebten Zigarren verzichten.« Jacqueline zog eine Grimasse. »Aber das hält er nicht durch.«
»Kein Problem, er wird sich einfach über das Verbot hinwegsetzen.«
»Hoffentlich, denn ohne seine Zigarren ist er unausstehlich. Wie auch immer, morgen muss ich zurück. Der Alte kann jeden Tag wieder im Büro auftauchen. Schade, ich würde gerne noch bleiben.«
»Musst halt wiederkommen, bist immer herzlich eingeladen.«
»Das mach ich, versprochen.«
»Heute Abend feiern wir in Jacques’ Bistro deinen Abschied. Clodine kommt auch.«
»Und der Bürgermeister?«
Isabelle lächelte. »Thierry? Ja, ich denke, auch er wird sich die Ehre geben, ganz sicher sogar.«
Isabelle überholte einige Radfahrer, die sich den Berg hinaufquälten.
Sie merkte, dass Jacqueline sie von der Seite ansah.
»Na, wie kommt er damit klar?«, fragte ihre Freundin.
Sie wusste genau, worauf Jacqueline anspielte, stellte sich aber ahnungslos. »Womit?«
»Mit eurem Arrangement. Schließlich warst du noch vor zwei Wochen mit Rouven in der Karibik auf Saint-Barthélemy. Weiß Thierry davon?«
»Natürlich, aber wir reden nicht darüber. Jetzt bin ich ja wieder hier.«
Jacqueline lachte. »Du bist schon eine coole Socke. Hast zwei Männer gleichzeitig.«
»Nicht gleichzeitig, abwechselnd.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass das funktioniert.«
Isabelle warf ihr einen Blick zu und lächelte vieldeutig. »Ich auch nicht.«
Weitere Kommentare verkniff sie sich. Das Arrangement war ja tatsächlich sehr speziell – und der Ausgang blieb ungewiss. In Fragolin hatte sie eine Beziehung mit Thierry Blès, dem Bürgermeister. Und zwischendurch gönnte sie sich Auszeiten mit Rouven Mardrinac, einem milliardenschweren Bonvivant und Kunstsammler. Thierry und Rouven kannten sich und wussten voneinander. Rouven war ein entspannter Typ, der nahm das locker. Thierry dagegen war von Natur aus eifersüchtig und musste über seinen Schatten springen, um ihre kleinen Fluchten zu akzeptieren. Sie hatte erfahren, dass er heimlich in Therapie ging. Das war kein gutes Zeichen. Und sie selbst? Was war mit ihr? Eine Therapie brauchte sie nicht. Aber war sie wirklich glücklich?
»Mir geht immer wieder die tote Nonne durch den Kopf«, riss Jacqueline sie aus ihren Gedanken.
Isabelle war für den Themenwechsel dankbar.
»Ja, geht mir ähnlich.«
»Ein tragisches Unglück. Hast du ihr hübsches Gesicht gesehen?«
Isabelle nickte. Aber warum sollten junge Nonnen hässlich sein? Und machte das einen Unterschied?
»Weshalb war ihr Mund blutverschmiert?«, fragte Jacqueline.
»Vielleicht war sie nach ihrem Sturz noch kurz am Leben und hat Blut gespuckt. Dann kamen die Sanitäter und haben versucht, sie zu beatmen.«
»Ja, so wird es gewesen sein.«
Eine halbe Stunde später setzte Isabelle ihre Freundin in derAuberge des Maures ab. Jacqueline wollte sich vor dem Abendessen noch etwas ausruhen und frisch machen. Isabelle beschloss, kur